Kulturelle Bildung setzt Veränderungsenergie frei
Im September 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen 17 Nachhaltigkeitsziele, um bis 2030 weltweit Armut und Hunger zu verringern und die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen. Bianca Bilgram von der Deutschen UNESCO-Kommission erklärt, welche Rolle die kulturelle Bildung beim Erreichen dieser Ziele spielt.
Sie schreiben in Ihrem Beitrag „Kultur und Bildung als Motor einer Nachhaltigen Entwicklung“ von einem gesellschaftlichen Wandel, der für eine nachhaltige Entwicklung benötigt werde. Worin genau besteht dieser Wandel?
Die Nachhaltigkeitsziele, die 2015 von der Weltgemeinschaft gemeinsam verabschiedet wurden, geben ein gutes Verständnis davon, worüber wir genau sprechen. Die zentralen Ziele bezeichnen wir als „5 Ps“ (People, Planet, Prosperity, Peace and Partnership). Das heißt, es geht darum, die Würde des Menschen zu achten, den Planeten zu schützen, Wohlstand für alle zu schaffen, den Frieden zu fördern und globale Partnerschafen zu stärken. Die Halbzeitbilanz ist leider sehr beunruhigend und erschütternd. Durch die Corona-Pandemie oder den Krieg in der Ukraine sind wir von der Erfüllung dieser Ziele weit entfernt. Teilweise haben wir sogar bereits gemachte Fortschritte eingebüßt. Um die Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen, brauchen wir ein neues globales Miteinander und können uns nicht allein auf technologische Fortschritte stützen. Dabei müssen wir aber auch berücksichtigen, dass die Agenda 2030 voller Zielkonflikte ist. Bildung für nachhaltige Entwicklung kann dabei helfen, diese Konflikte auszubalancieren und zu verhandeln.
Wie kann Kultur zu diesem Wandel beitragen?
Um einen strukturellen Wandel für mehr Nachhaltigkeit auf der ökologischen, ökonomischen und sozialen Ebene zu erreichen, braucht es Kreativität und Gestaltungsmut. Veränderungsenergie freizusetzen und Perspektivwechsel zu fördern ist nicht nur eine Methode kultureller Bildung, sondern wirklich ihr Kern. Kultur irritiert uns, stellt das Gewohnte in einen anderen Kontext und öffnet Diskussionsräume. Zudem fördert kulturelle Bildung Selbstwirksamkeit. Die Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Identität und Vergangenheit ermutigt dazu, selbst etwas zu verändern und daran zu wachsen.
In Deutschland wurde dazu 2017 der Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) von der Nationalen Plattform BNE verabschiedet. Der Aktionsplan soll bis spätestens 2030 umgesetzt werden. Können Sie über Zwischenergebnisse berichten?
Wir möchten formale und nichtformale Bildungsangebote besser vernetzen und außerschulische Angebote für Kinder und Jugendliche ausbauen. Außerdem möchten wir die Erwachsenenbildung weiter voranbringen. Da braucht es mehr gezielte Fortbildungsangebote. Mit der Einführung der neuen Standardberufsbildpositionen – berufsübergreifend geltenden Ausbildungsinhalten – sind wir beispielsweise im Bereich der beruflichen Bildung sehr gut vorangekommen. In jeder Berufsausbildung müssen nun die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung ganz konkret behandelt werden.
In Bezug auf die Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Schulen verfolgt die UNESCO einen „Whole School Approach“. Was genau ist das?
Beim „Whole School Approach“ geht es um einen ganzheitlichen Blick auf das System Schule. Das reicht von der Einbindung und Weiterbildung von Verwaltungspersonal, über den Umgang mit Ressourcen, der Schulkantine bis zur Solaranlage auf dem Dach. Ansätze zu mehr Nachhaltigkeit gibt es in vielen Schulen. Richtig rund wird es, wenn diese Ansätze auch im Unterricht thematisiert und nach außen kommuniziert werden. Damit wird der „Whole School Approach“ zu einem Schulentwicklungstool, das weiter reicht, als nur Lehrpläne zu verändern. Nachhaltigkeit wird authentisch erlebbar und gestaltbar.
Welche Akteure spielen über die Schule hinaus eine Rolle? Wie können diese eingebunden werden?
Das beginnt in der Schule bei den Eltern und dem Verwaltungs- und Dienstleistungspersonal. Potenzial für Vernetzungen bieten Kitas, Unternehmen und Hochschulen vor Ort, sowie die vielen Akteure der außerschulischen Bildung, wie Vereine oder Umweltzentren. Schulen in der Nähe eines Biosphärenreservats oder einer Welterbestätte könnten sich im Unterricht damit auseinandersetzen, was der Klimawandel oder auch wirtschaftliche Veränderungen für diese Orte bedeuten. So werden Transformationsprozesse konkret erfahrbar. Und die Schwelle, sich selbst einzubringen, sinkt.
Können Sie Beispiele für einen Austausch zwischen Schulen und Akteuren der eher non-formalen Bildung nennen?
Ein gutes Beispiel ist die KinderKulturKarawane, ein BNE-Preisträger aus dem vergangenen Jahr. Die KinderKulturKarawane lädt Musik- und Theatergruppen aus dem globalen Süden an Schulen in Deutschland ein. In den Projekten mit den Schülerinnen und Schülern geht es dann um den Klimawandel aus einer globalen Perspektive und aus der lokalen Perspektive am Ort der jeweiligen Schule. So entsteht ein Bewusstsein für die Vielfältigkeit der Herausforderungen und Probleme, aber auch möglicher Lösungen.
Was nehmen Sie sich bis 2030 noch vor?
Es gibt bereits so viele gute Beispiele, sodass niemand mehr ganz von vorne anfangen muss. Vielmehr geht es darum, die gelungenen Ansätze zu intensivieren. Wir möchten in Zukunft noch diverser werden. Das bedeutet, Akteure der Sozialpartner oder aus den Migrationsverbänden stärker in die kulturelle Bildung und BNE einzubinden. So können wir Nachhaltigkeitsfragen noch leichter zugänglich machen und für einen größeren Personenkreis öffnen. Darüber hinaus möchten wir die Erwachsenenbildung stärker in den Blick nehmen und dabei auch Führungskräfte und Entscheidungsträger erreichen. Eine effektive und wirksame Jugendbeteiligung zeigt außerdem wie wichtig es ist, wirklich mit den jungen Menschen zu sprechen und nicht nur über sie. Das Bewusstsein dafür wächst, das ist deutlich zu spüren.