Technische Schutzmaßnahmen reichen nicht im digitalen Raum
Digitale Medien in der kulturellen Bildung zu nutzen, bringt sowohl Chancen als auch Risiken. Worauf es bei Schutzmaßnahmen ankommt und warum Medienkompetenz nicht bei der Technik endet, erklärt die Medienpädagogin Julia Behr vom JFF im Gespräch.
Frau Behr, Sie sind medienpädagogische Referentin beim JFF – Institut für Medienpädagogik e.V. Vor welchen Herausforderungen stehen Pädagoginnen und Pädagogen beim Kinder- und Jugendschutz im digitalen Raum?
Pädagoginnen und Pädagogen sollen Kindern und Jugendlichen einen sicheren und positiven Umgang mit digitalen Medien ermöglichen. Das gelingt, wenn sie ihre eigene Medienkompetenz weiterentwickeln und der digitalen Welt mit Offenheit und Neugierde begegnen. Dazu gehört, Kinder und Jugendliche einzubeziehen und oft auch, sie als Expertinnen und Experten im Umgang mit digitalen Medien anzuerkennen.
Eine weitere Herausforderung: Die meistgenutzten digitalen Plattformen gehören nur wenigen Anbietern. Die Gewinnorientierung großer Digitalkonzerne sollte aber nicht über den Interessen von Kindern und Jugendlichen stehen. Damit Anbieter die Plattformen für Kinder und Jugendliche sicher gestalten, braucht es rechtliche Grundlagen. Denn auch Menschen mit demokratiefeindlichen Einstellungen oder pädokriminelle Personen nutzen die Plattformen für ihre Interessen.
Genau diese Regulierung lässt sich schwer umsetzen, die rechtliche Verantwortung ist oft unklar. Wie gehen Sie damit um?
Technische Schutzmaßnahmen reichen nicht. Als JFF setzen wir deshalb auf den praktischen Umgang mit Medien. In unseren Workshops eignen sich Kinder und Jugendliche Medien aktiv und kreativ an. Durch die praktische Arbeit an eigenen Medienprodukten lernen sie, wie Medien gemacht sind. Dieses Wissen hilft dabei, sich selbst und die eigene Lebenswelt mit Medien auszudrücken. Außerdem befähigen wir pädagogische Fachkräfte und Eltern. Denn Medienkompetenz ist keine reine Technikkompetenz. Nur wer versteht, welche Anziehungskraft bestimmte Plattformen und Apps auf Kinder und Jugendliche ausüben, kann sie lebensweltorientiert beraten – und vor Gefahren wie etwa Cybermobbing oder Hatespeech schützen. Darüber hinaus bringen wir unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Fachdiskurs ein, um etwa bei der Weiterentwicklung von Gesetzen zu beraten.
Eine dieser Grundlagen, auf der die Weiterentwicklung des Jugendmedienschutzes aufbauen kann, ist der Jugendmedienschutzindex. Was genau haben Sie dabei im Blick?
Der Jugendmedienschutzindex erforscht, wie Heranwachsende zwischen neun und 16 Jahren Medien nutzen und wie ihre Erziehungsberechtigten die Medienerziehung begleiten. Die Erkenntnisse der repräsentativen Studie nutzen wir, um Politik, Fachkräfte und Eltern beraten zu können.
Neben dem Jugendmedienschutzindex rücken wir auch im Projekt ACT ON! aktiv+selbstbestimmt online die Perspektive der Kinder und Jugendlichen in den Vordergrund. Unser Fokus liegt auf den 10- bis 14-Jährigen. Diese Altersgruppe hat oft noch einen hohen Schutzbedarf, grenzt sich aber auch zunehmend von den Erwachsenen ab und testet Grenzen aus. Diese Gruppe ist sehr heterogen. Sie reicht von 10-Jährigen, die unbegleitet Plattformen wie TikTok nutzen bis zu denjenigen, die bisher nur begleitet Medien nutzen. Rein technische Schutzmaßnahmen wie etwa eine Altersverifikation greifen daher zu kurz. Zusätzlich braucht es Förderung ihrer Medienkompetenz
Das Projekt SIKID bezieht Kinder und Jugendliche in die Forschung für mehr Online-Sicherheit ein. Wie gehen Sie dabei konkret vor?
Wir kommen zunächst mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch. Sie sollen sich möglichst frei äußern. In unseren Forschungswerkstätten entwickeln sie Lösungen für eine sichere digitale Teilhabe – aus ihrer Sicht. Diese Perspektive ist zentral für den Diskurs um Schutzmaßnahmen und deren rechtliche Grundlage.
Die Teilhabe junger Menschen zu erweitern, ist auch das Anliegen in unseren Bündnissen im Rahmen der „Kultur macht stark“-Initiative Labs4Future. Der Einsatz digitaler Medien als Werkzeuge und Ausdrucksformen trägt dazu bei, dass auch Kinder und Jugendliche sich für kulturelle Bildungsangebote begeistern, die bisher eher wenig oder gar keinen Zugang dazu hatten.
Die vielfältigen Lebensentwürfe junger Menschen reflektieren Sie auch in Projekten wie QUEER THINGS. Inwieweit bieten digitale Medien hier neue Möglichkeiten, sich auszutauschen und zu vernetzen?
Mit QUEER THINGS möchten wir eine weltoffene und diverse Gesellschaft fördern. Digitale Medien und Online-Plattformen sind für junge Menschen, deren Persönlichkeit sich noch entwickelt, wichtige Informationsquellen und Sozialräume. Das gilt besonders für Kinder und Jugendliche aus ländlichen Räumen, aber auch in Städten. Das Internet ist für sie vielleicht der Ort, wo sie davon erfahren, dass es (auch) im sogenannten „Real Life“ Orte für Austausch und Begegnung gibt. Mit QUEER THINGS schaffen wir diese Räume.