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Spielerisch Raum für Geschichte(n) schaffen – Erinnern mit digitalen Games

Wie kann kulturelle Bildung historische Themen wie die Zeit des Nationalsozialismus, Weltkriege oder Kolonialismus vermitteln? Christian Huberts und Dr. Tabea Widmann von der Stiftung Digitale Spielekultur sind überzeugt: Digitale Spiele sind dafür ein besonders geeignetes Medium, das Stereotype aufbricht und Erfahrungsräume erweitert.

Christian Huberts und Dr. Tabea Widmann
Christian Huberts und Dr. Tabea Widmann © Julia Merkel

Herr Huberts, Frau Widmann, Sie leiten eine Initiative mit dem Titel „Erinnern mit Games“. Worum geht es dabei?

Christian Huberts: Das Ziel unserer Initiative ist es, gute Praxisbeispiele der Darstellung von NS-Geschichte in digitalen Spielen zu zeigen. Außerdem möchten wir Akteure aus den Bereichen der Erinnerungskultur und der Spieleentwicklung miteinander vernetzen. Aus diesen Netzwerken sollen digitale Spiele entstehen, die eine sensible Erinnerungskultur betreiben.

Wie kann dieser sensible Umgang mit Geschichte aussehen?

Dr. Tabea Widmann: Wichtig ist vor allem die Bereitschaft von Entwicklerinnen und Entwicklern, mit erinnerungskulturellen Institutionen zusammenzuarbeiten, historische Fakten zu berücksichtigen und stereotype Darstellungen zu hinterfragen. Im Erinnerungsdiskurs zur NS-Zeit haben sich bestimmte Bilder und Stereotype verfestigt. Erinnerungskulturelle Expertise kann dabei helfen, diese Bilder zu hinterfragen und einen differenzierten Blick direkt in Spielekonzepte einzuarbeiten.

Cover des Booklets "Erinnern mit Games"
Booklet "Erinnern mit Games" © Stiftung Digitale Spielekultur

Sie haben zehn Leitfragen für die Entwicklung von Spielen der Erinnerungskultur erarbeitet. Wie ist die Resonanz?

Huberts: Spieleentwickelnde waren von Beginn an in die Erarbeitung der Leitfragen eingebunden. Die Resonanz ist positiv, viele nutzen die Leitfragen zur Orientierung, bevor sie sich an ein Projekt mit historischen, insbesondere mit NS-Bezügen wagen. Ein Spiel, das die Leifragen von Beginn an benutzt hat, ist „Meine Oma (88)“ des Leipziger Entwicklungsstudios RotxBlau. In dem Spiel geht es darum, wie wir heute mit dem Schweigen von Tätern und Täterinnen in der eigenen Familie umgehen. Weder in digitalen Spielen noch in der historischen Forschung war dieses Thema bisher besonders präsent. Es freut uns, dass die Leifragen dazu geführt haben, eine solche Leerstelle zu erkennen.

Spiele von besonderer erinnerungskultureller Relevanz sammeln Sie in einer mit dem Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (AKGWDS) betreuten Datenbank. Mit der Datenbank möchten Sie zum „Einsatz der Spiele in Museen, Gedenkstätten, Schulen, Universitäten und anderen Lernorten anregen“. Worauf ist dabei besonders zu achten?

Huberts: Digitale Spiele sind – wie andere Medien auch – kein Wundermittel, das auf magische Weise Kindern und Jugendlichen alles beibringt, was sie wissen müssen. Sie sollten immer kontextualisiert werden. Viele Spiele in unserer Datenbank bieten dazu passendes pädagogisches Begleitmaterial und Zusatzinformationen an. Vor dem Einsatz in der Bildungsarbeit sollten sich Lehrkräfte aber intensiv mit den Potentialen und Grenzen von digitalen Spielen auseinandersetzen. Darüber hinaus sind einige grundlegende Dinge zu beachten: Die Spieldauer sollte relativ kurz sein, sie sollten einfach zu bedienen sein und nicht zu komplexe Hardwareanforderungen haben.

Bei der Bildungsarbeit ist es wichtig, die unterschiedlichen Erfahrungen von Teilnehmenden zu berücksichtigen. Personen, die selbst Flucht- oder Kriegserfahrungen haben, blicken anders auf die historischen Themen als Personen ohne einen solchen Hintergrund. Welche Rolle können Games dabei spielen?

Widmann: Die Frage, wer in Zukunft erinnern wird, ist für Erinnerungskultur zentral. Wir haben daher 2021 unsere Datenbank gezielt um Spiele zu Flucht und Migration erweitert. Ich bin überzeugt, dass Spiele kreative Formen der Selbstermächtigung ermöglichen. Mit Spielen können Menschen ihre eigenen Geschichten erzählen und bestehende Narrative in Frage stellen – auch über Flucht und Migration.

Ein zeitgeschichtliches Beispiel ist „Path Out“, das von einem syrischen Geflüchteten entwickelt wurde. Der Entwickler räumt als eine Art Kommentator im Spiel auf humorvolle Weise mit Stereotypen auf. Wenn man auf ein Kamel klickt, sagt er etwa: „Es tut mir leid, aber bei mir zu Hause stehen keine Kamele.“ Ein weiteres Beispiel ist „Bury me, my Love“. Darin macht sich eine Frau auf den Weg nach Europa, ihr Ehemann bleibt zurück und kann nur über Chatnachrichten mit ihr in Kontakt bleiben. So lässt das Spiel an Fluchterfahrungen teilhaben und schafft Raum für die Perspektiven Betroffener.

Wie möchten Sie in Zukunft Projekte beim Einsatz von Spielen in der kulturellen Bildung unterstützen?

Huberts: Schon 2023 haben wir im Rahmen unseres aktuellen Projekts „Let’s Remember!“ Schulungen für Mitarbeitende an Gedenkstätten durchgeführt und dort verschiedene Formate wie zum Beispiel experimentelle Führungen erprobt. Das möchten wir fortführen und ausbauen, um Interessierte zu befähigen, diese Formate selbst in ihrer kulturellen Bildungsarbeit umzusetzen. Dazu werden wir unsere Datenbank technisch überarbeiten und um viele Spiele ergänzen, die in den letzten Monaten erschienen sind. Auf diese Weise hoffen wir, unsere Arbeit für möglichst viele Menschen zu öffnen.

Erinnern mit Games Titelbild
© Stiftung Digitale Spielekultur

Info

Dr. Tabea Widmann und Christian Huberts leiten bei der Stiftung Digitale Spielekultur das Projekt „Let’s Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort“. Das Projekt findet in Kooperation mit dem Deutschen Kulturrat statt und wird in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen gefördert. „Let’s Remember!“ und die Initiative „Erinnern mit Games“ sind keine im Rahmen von „Kultur macht stark“ geförderten Angebote.