Musik als künstlerischer Zugang zur Klimakrise
Linus Eusterbrock lehrt am Department für Kunst und Musik der Universität zu Köln und forscht zur Rolle der Musikpädagogik in der Klimakrise. Kann musikpädagogisches Arbeiten Menschen helfen, mit der Klimakrise umzugehen? Ein Gespräch über die gemeinschaftsstiftende und hoffnungmachende Kraft der Klänge.
Sie forschen zu Musikpädagogik und Klimaschutz. Wie wurde Ihr Interesse an dem Thema geweckt? Was möchten Sie herausfinden?
Unsere Gegenwart ist von der Klimakrise geprägt, aber im schulischen Musikunterricht kommt sie bisher kaum vor. Die sogenannte Bildung für nachhaltige Entwicklung ist in den meisten Fächern sehr präsent, in der Musik aber noch kaum angekommen. Das ist schon erstaunlich und hat mich neugierig gemacht. Mich interessiert, wie sich Musik und Nachhaltigkeit in pädagogischen Kontexten verbinden lassen. In der künstlerischen Praxis, aber auch in der außerschulischen Musikvermittlung ist da nämlich gerade einiges in Bewegung.
Wie kann Musikpädagogik zu mehr Nachhaltigkeit beitragen?
Zunächst einmal können Institutionen im Bereich Musik und kulturelle Bildung natürlich bei den eigenen Infrastrukturen ansetzen. So fragen sich beispielsweise derzeit viele Schulen, Theater und Konzerthäuser, wie sie den eigenen Betrieb nachhaltiger gestalten und weniger Ressourcen verbrauchen können. Wichtig wäre es aber, es nicht dabei zu belassen, sondern die Stärken kultureller Bildung auszuspielen und sich mit den ökologischen Krisen unserer Zeit auch inhaltlich auseinanderzusetzen. Das kann bedeuten, unser Verständnis von dem, was als „Natur“ bezeichnet wird, zu reflektieren. Man denke an die Musik der Romantik, die schon auf die Bedrohung der Natur durch die Industrialisierung reagierte, aber aktuell auch an David Rothenbergs Improvisations-Duette mit Vögeln und Walen.
Gibt es historische Beispiele für die Verbindung von Musik und Klimaschutz-Aktivismus?
Musik hat immer eine Rolle in Protestbewegungen gespielt, auch in den historischen und gegenwärtigen Kämpfen für Umweltschutz und Klimagerechtigkeit. Ein Beispiel sind die Tanz-Demos bei Fridays for Future. Aber auch der Protest von indigenen Communities gegen die Keystone-Pipeline in den USA, in dem Hip-Hop eine wichtige Rolle spielt. Indigene und Schwarze Menschen sind in den USA nicht nur Rassismus ausgesetzt, sondern von Umweltkatastrophen auch besonders betroffen. Das wird in Hip-Hop-Songs aufgegriffen.
Wie lässt sich daran konkret in der musikpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen anknüpfen?
Man kann zum Beispiel mit Kindern und Jugendlichen selbst Musik produzieren, in der sie ihre Erfahrungen mit der Klimakrise ausdrücken können – etwa Hip-Hop, aber auch eher abstrakte Geräusch-Kompositionen und Improvisationen. Die Klimakrise ist mit vielen Gefühlen verbunden: Angst, Wut, aber auch Hoffnung. Und Musik war immer schon gut darin, Gefühle zu teilen und zu verarbeiten.
Wie kommt das bei den Kindern und Jugendlichen an?
Das ist recht individuell. Natürlich ist die „Generation Greta“ für die Klimakrise sensibilisiert, und viele Kinder und Jugendliche wollen etwas dagegen unternehmen. Es gibt aber auch solche, die ihre Freiheit durch Klimaschutz beschnitten sehen, oder die des Themas überdrüssig sind, weil sie es in der Schule oft durchnehmen. Ein Problem ist, wenn Pädagoginnen und Pädagogen Kinder durch düstere musikalische Zukunftsszenarien „aufrütteln“ wollen. Angstmachen hilft niemandem. Es geht vielmehr darum, mit Musik einen kreativen Raum zu öffnen, in dem die ökologischen Krisen künstlerisch bearbeitet werden können.
Warum ist gerade Musik besonders geeignet, einen emotionalen Zugang zur Klimakrise zu eröffnen?
Musik ist genauso geeignet wie andere Kunstformen. Sie hat aber eine besondere Räumlichkeit. Wenn ich beispielsweise das Bild eines Wals vor mir sehe, dann befindet sich der Wal mir gegenüber. Wenn ich aber die Augen schließe und eine Komposition höre, die mit Walklängen arbeitet, dann ist dieser Klang um mich herum. Es ist, als ob sich der Wal direkt neben mir befände. Das hat das Potenzial, Zuhörende an andere Orte zu versetzen und so beispielsweise Themen wie Artenvielfalt näherzubringen.
Gibt es innerhalb der Musik bestimmte Stile und Genres, die sich besonders eignen, unser Bewusstsein für den Klimawandel zu schärfen?
Alle Musikstile haben das Potenzial, ökologische Krisen zu adressieren. Mit Pop und Hip-Hop lassen sich beispielsweise gut eigene Erfahrungen mit dem Klimawandel ausdrücken. Aber auch Neue Musik eignet sich, weil man dort mit Sound Walks und Geräuschen arbeiten kann. Susan Ibarra hat zum Beispiel ein Bildungsprojekt in Marokko durchgeführt, in dem Mädchen sich mit den sich wandelnden Klängen ihrer Umgebung beschäftigen, die immer trockener wird.
Auf Ihrer Online-Themenplattform „Musik-Klima.de”, die sie mit Silke Schmid und Jonas Völker betreiben, spielt auch das Thema Sonifikation eine Rolle. Was ist das?
Sonifikation bedeutet Verklanglichung. In unserem Kontext ist das eine Kompositionsmethode, bei der Klimadaten hörbar gemacht werden. In einem Projekt mit Jugendlichen habe ich beispielsweise Klimadaten-Graphen als Partitur genutzt. Wir haben den Verlauf der CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 1900 bis 2023 verknüpft mit dem Tempo eines Musikstücks. Wenn die Konzentration steigt, wird das Stück schneller. Man kann so auch ein Zukunftsszenario vertonen – etwa eine Begrenzung der Erderwärmung – und so Lösungen hörbar machen.
Was wünschen Sie der Musikpädagogik für die Zukunft?
Ich würde mir wünschen, dass die Musikpädagogik sich den ökologischen Krisen unserer Zeit in ihrer kulturellen Komplexität widmet. Und dass sie dabei sowohl die klassischen Ziele von kultureller Bildung wie ästhetische Erfahrung und Partizipation verfolgt, als auch Teil einer kritisch-emanzipatorischen Bildung für nachhaltige Entwicklung wird, die Lernende dabei unterstützt, sozial-ökologische Zusammenhänge kritisch zu hinterfragen. Musik als sinnliche, imaginative und kollektive ästhetische Praxis kann einiges dazu beitragen.