Theaterstück von und für Nicht-Hörende und Hörende
Wie sieht unsere eigene kleine Welt aus? Schon Saint-Exupérys „Kleiner Prinz“ fragt nach den Besonderheiten eines jeden Planeten und den Wesen, die sie bewohnen. Diese Neugier für andere möchte auch das Theaterprojekt „Welten begegnen sich“ fördern und interpretiert den Klassiker im Rahmen von „Kultur macht stark“. Doch wie gelingt Theater von und für Menschen mit Höreinschränkung?
Natalia Plechanov ist Regisseurin, Johanna Niesen Schauspielerin, beide arbeiten zudem als Theaterpädagoginnen. Gemeinsam realisieren sie Aufführungen mit der Theatergruppe RIF aus Bergisch Gladbach. Im Schuljahr 2023/24 leiten sie für die „djoNRW“ (Deutsche Jugend in Europa Landesverband NRW e.V.) das Theaterprojekt „Welten begegnen sich“. Das Besondere an diesem „Kultur macht stark“-Projekt: Die 20 Jugendlichen im Alter von 13 bis 17 Jahren haben alle unterschiedliche Gehörstufen, von gehörlos über höreingeschränkt bis hörend. Sie besuchen die „LVR-Johann-Joseph-Gronewald-Schule“ in Köln, die zugleich Bündnispartnerin des Projekts ist. Als dritter Bündnispartner engagiert sich das „Comedia Theater“ und schafft eine Bühne für das Projekt – als Ort der Begegnung, des Theatererlebens und des Aufführens.
Teilhabe für alle: Inklusive kulturelle Bildung
Theater verbindet und schafft Brücken. In den meisten Fällen über die gesprochene Sprache. Was aber, wenn die Schauspielenden sich nur wenig bis gar nicht in Lautsprache ausdrücken? Eine Herausforderung für Projektleiterin Natalia Plechanov: „Am Anfang ging es darum, uns kennenzulernen und eine gemeinsame Kommunikation zu finden. Das war für uns alle eine neue Erfahrung.“ Wie im Buch Saint-Exupérys fragen sich die Teilnehmenden: Wer bin ich? Wie sieht mein Planet aus? Was kann ich gut? „Wir haben allen Teilnehmenden einen Ball als Symbol für ihren Planeten gegeben und sie über diese Fragen nachdenken lassen. Es war erstaunlich mitzuerleben, welche Emotionen sie allein durch ihre Körpersprache zum Ausdruck bringen, Scheu, Neugier, Freude“, erinnert sich Johanna Niesen. Hier lernen alle, sich kreativ ausdrücken, so wie sie es können. Die wöchentlichen Proben laufen nachmittags, nach einem langen Schultag, viele Teilnehmende haben weite Anfahrtswege und dennoch: Alle bleiben dem Projekt bis zum Ende treu.
Theatererleben auf drei Ebenen
Das Stück selbst wird auf drei unterschiedlichen Ebenen zum Erlebnis und ermöglicht auch dem Publikum ein inklusives Schauspiel: Zum einen werden Zeichnungen des Autors zum Buch und zu seiner Biografie projiziert, sodass etwas zu sehen ist. Zum anderen wird die Aufführung auf der Bühne bilingual dargestellt: in Gebärdensprache und in Lautsprache. Eine professionelle DGS-Dolmetscherin übersetzt für Gehörlose, während Hörende dem gesprochenen Text lauschen. Doch nicht nur während der Aufführung, sondern auch während der gesamten Proben steht die Dolmetscherin dem Projekt zur Seite. Natalia Plechanov betont: „Dank der Verdolmetschung konnten wir unser Projekt auf ein professionelles Niveau heben, das ohne die Unterstützung von ‚Kultur macht stark‘ nicht möglich gewesen wäre. Denn nur so konnten wir uns wirklich mit allen Teilnehmenden verständigen und voneinander lernen.“
Von Planet zu Planet
Die Botschaften des Buchs sind auch jene des Projekts. Ähnlich einer Abenteuerreise rückt es das Entdecken des Andersseins in den Fokus. „Jedes Kind ist wie ein Planet. Wir können unsere Schwingen ausbreiten und zueinander fliegen, uns besuchen und kennenlernen“, fasst es Natalia Plechanov zusammen. Deshalb bleiben die Teilnehmenden auch nicht nur im Probenraum. Das Projekt gliedert sich vielmehr in zwei Phasen, das Theaterspielen selbst und die Theaterreise. So fährt die Gruppe zusammen mit der Dolmetscherin für zwei Tage mit Übernachtung nach Bochum, besucht dort das Planetarium, eine Tanzschule und einen Jahrmarkt.
Die Aufführung des Stücks ist wie der Schlussakt des Projekts. Im Rahmen des „Bohei Festivals“ des Comedia Theaters begegnen sich schließlich die Welten: In den Inhalten des „kleinen Prinzen“, zwischen Kindheit und Erwachsensein, Hörenden und Höreingeschränkten, auf der Bühne und im Saal selbst. Natalia Plechanov resümiert: „Es ist berührend, wie stolz unsere Teilnehmenden waren, selbst bei einem Theaterfestival mitzuwirken und ein eigenes Stück aufzuführen – und erst die Eltern, die ihre Kinder als Darstellende erleben durften.“