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Im Rhythmus vereint

Im Stendaler „Rhythm Lab“ entdecken Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf die Welt der Trommelinstrumente. Das gemeinsame Musizieren verbessert ihr Körper- und Sprachgefühl und schult die sozialen Fähigkeiten.

Eine große Standtrommel auf einem grauen Turnhallenboden. Darüber eine Hand, die zum Trommelschlag ansetzt.
Wenn sich das “Rhythm Lab” trifft, wird die Turnhalle des Berufsbildungswerks Stendal zum Trommelstudio. © Charly Köhn

Wer an einem Donnerstagvormittag die Turnhalle des Berufsbildungswerks (BBW) Stendal betritt, könnte im ersten Moment vermuten, auf einem Obst- und Gemüsemarkt gelandet zu sein. „Mango, Mango!“, „Obst, Obst!“ oder „Apfelsine, „Apfelsine!“ schallt es durch die Halle. Was fehlt, sind die Marktstände mit den leckeren Früchten. Die Rufe gehen von einer Gruppe Schülerinnen und Schüler aus. Deutlich betonen sie die einzelnen Silben der Wörter. Dabei klopfen sie sich im Rhythmus auf Brust oder Oberschenkel. Statt Früchte zu verkaufen, wärmen sie sich mit den Rufen im musikalischen Förderangebot „Rhythm Lab“ auf. Das von „Kultur macht stark“ geförderte Projekt organisiert das BBW gemeinsam mit den drei weiteren Bündnispartnern Förderschule „Pestalozzi“, Musik- und Kunstschule Stendal und dem Sozialverband Deutschland e.V., Kreisverband Altmark-Ost.

„Die Übung ist eine Form der Body Percussion, bei der der eigene Körper als Instrument eingesetzt wird. So lässt sich spielerisch etwas über die Verbindung von Sprache und Rhythmus lernen“, erklärt der Gruppenleiter Charly Köhn. „‘Obst‘ steht für eine Viertelnote, das schneller ausgesprochene ‚Man-go‘ für zwei Achtelnoten, die ‚Ap-fel-si-ne‘ für vier noch schnellere Sechzehntelnoten.“

Über Musik gemeinsam kommunizieren

Körper, Sprache und Rhythmus miteinander in Einklang zu bringen – das ist für die jungen Teilnehmenden zwischen zehn und dreizehn Jahren nicht selbstverständlich. Aufgrund von Lernschwächen oder anderem Förderbedarf besuchen sie die Förderschule. Das BBW bietet ihnen neue Chancen: auf einen Schulabschluss, eine anschließende Ausbildung und auf Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben. Die Trommelgruppe entstand 2018 als gemeinsame Initiative des damaligen BBW-Geschäftsführers Gunter Wittig und des Leiters der Musik- und Kunstschule Benjamin Ulrich. Seit 2023 betreut der studierte Schlagzeuger und Musiktherapeut Köhn das „Rhythm Lab“. Dank der Förderung durch “Kultur macht stark” kommen Auszubildende des BBW und Schülerinnen und Schüler der Pestalozzischule regelmäßig zusammen, um unter Anleitung gemeinsam Musik zu machen. Die Gruppe trifft sich im Laufe eines Schuljahres wöchentlich.

Nach dem Warmup startet das Programm. Als Instrumente stehen Trommeln verschiedenster Art und Größe bereit. Von einer großen Basstrommel aus wellblechartigem Metall bis hin zu handlichen Tambourins oder Kongas. In den Sitzungen entdecken die jungen Teilnehmenden, wie sie mit Musik gruppendynamisch kommunizieren können. Während zu Beginn noch alle dem gleichen Rhythmus folgen, erhöht Köhn schrittweise den Schwierigkeitsgrad. So gibt etwa ein Teil der Gruppe den Rhythmus vor, die anderen Gruppenmitglieder antworten darauf. „Wie bei einem Tennisspiel“, erläutert er. Oder jede Trommel stellt eine eigene Stimme innerhalb eines vielstimmigen Chors dar. Dann kommt es darauf an, aufmerksam zu sein für das Spiel der anderen und den eigenen Einsatz nicht zu verpassen.

Erlebnis statt Perfektion

Das gemeinsame Trommeln schult nicht nur Körper- und Rhythmusgefühl, sondern auch soziale Fähigkeiten. Die Teilnehmenden lernen, Teil einer Gruppe zu sein, Rücksicht zu nehmen, aber auch Verantwortung für die eigene Rolle zu tragen. Lehrkräfte berichten von einer verbesserten Konzentration auch im regulären Unterricht. Insbesondere Schülerinnen und Schüler mit Schreibproblemen profitierten, indem sie Haptik, Rhythmusgefühl und Motorik trainieren.

Diese therapeutischen Aspekte des Musizierens, sagt Köhn, seien ihm wichtiger als Perfektion oder ein bestimmtes Endergebnis. Dennoch kann die Stendaler Trommelgruppe bereits auf erfolgreiche Auftritte zurückblicken. Besonders in Erinnerung geblieben ist vielen die Teilnahme an einem Umzug am Sachsen-Anhalt-Tag. „Dabei haben die Leute am Straßenrand im Rhythmus mitgeklatscht. Ein tolles Erlebnis“, erinnert sich Köhn. Manche jungen Mitglieder bleiben sogar in ihrer Freizeit musikalisch aktiv. Das sei ein großer Erfolg des Projekts, betont Köhn – und unterstreiche dessen nachhaltige Wirkung. Denn eine musikalische Förderung bliebe vielen der eher in finanzschwachen Familien lebenden Kindern und Jugendlichen ansonsten verschlossen. Ob sie auf ihrem künftigen musikalischen Weg weiter zu Trommeln greifen oder auf andere Instrumente setzen – „Rhythm Lab“ hat ihnen geholfen, bisher ungeahnte Talente zu entdecken.

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INFOBOX
„Rhythm Lab“ ist ein Projekt der Bündnispartner Musik- und Kunstschule Stendal, der Pestalozzischule Stendal, des Berufsbildungswerks Stendal und des Sozialverbands Deutschland e.V., Kreisverband Altmark-Ost. Programmpartner des Projekts ist der Verband deutscher Musikschulen e.V.