Mit Kunst sich selbst kennenlernen
Theater, Musik, Video – diese künstlerischen Techniken lernen Jugendliche im Pinneberger Projekt UnDOING GENDER kennen. Das Thema sind sie selbst und ihre Gedanken und Erfahrungen zum Thema Geschlecht und Identität.
Was tragen Mädchen, was tragen Jungs? Wie fühlt sich ein Mädchen, wenn es „Jungs-Klamotten“ anhat – und umgekehrt? Und was passt eigentlich zu mir? Beim Projekt „UndDOING GENDER“ eines Bündnisses von Partnern aus Hamburg und Pinneberg setzen sich 18 Teenager zwischen zwölf und 16 Jahren auf künstlerische Weise mit der eigenen Identität und Geschlechterrollen auseinander. „Das Thema ist für Jugendliche sehr wichtig“, sagt Charlotte von Blomberg vom Verein rhizomen e.V. aus Hamburg, der künstlerische Bildungsprojekte umsetzt. Theater, Tanz und Musik würden sich sehr gut eignen, sich dem sensiblen Thema zu nähern.
Gut vernetzte Bündnispartner
Das Projekt richtet sich speziell an Jugendliche aus Pinneberg, die wenig Zugänge zu kulturellen Bildungsangeboten erhalten. Einige Teilnehmende blicken auf Fluchterfahrungen zurück, viele unterschiedliche Kulturkreise, Elternhäuser und Religionen sind im Projekt vertreten. Das Bündnis, zu dem neben dem Verein rhizomen das Jugendzentrum Geschwister-Scholl-Haus, der Diakonieverein Migration und der Club Nord (alle aus Pinneberg) gehören, hat viel Mühe auf die Kontaktaufnahme und Anwerbung der Teilnehmenden verwendet. „Das Geschwister-Scholl-Haus ist sehr gut in den Stadtteilen vernetzt, der Club Nord hat besonders enge Kontakte in die Schulen vor Ort und der Diakonieverein verfügt über Zugänge zu Kindern und Jugendlichen mit Migrationserfahrung“, fasst Charlotte von Blomberg die zahlreichen Wege zusammen, über die die Kontaktaufnahme lief.
Die künstlerische Arbeit übernimmt der Verein rhizomen. Neben der Theaterpädagogin Charlotte von Blomberg leiten ein Musik- und Soundkünstler sowie eine zweite Theaterpädagogin die Heranwachsenden an. Die Bündnispartner aus Pinneberg sind im laufenden Projekt wichtige Ansprechpartner, weil sie die Teilnehmenden teils schon länger kennen, das Geschwister-Scholl-Haus stellt zudem die Räume zur Verfügung, auch, weil sie über eine große Theaterbühne verfügen.
Kennenlernen verschiedener künstlerischer Techniken
UnDOING GENDER startete im Oktober 2020. Wegen der Kontaktbeschränkungen in der Coronapandemie wurden die Teilnehmenden in drei Gruppen mit je sechs Jungen und Mädchen aufgeteilt. „Wir haben dabei Schwerpunkte gelegt, auf Theater, Musik und Video. Allerdings heißt das nicht, dass die Theatergruppe keine Musik macht oder sich nicht mit Video beschäftigt“, erläutert Theaterpädagogin Charlotte von Blomberg. Ihr ist es wichtig, dass die Teilnehmenden möglichst viele künstlerische Techniken ausprobieren können. „Einige wenige haben schonmal in der Schule Theater gespielt, aber die meisten hatten keinerlei eigene Erfahrung mit Kulturprojekten“.
Ganz langsam haben die Kulturschaffenden von rhizomen deshalb die Teilnehmenden an Theater, Musik und Video herangeführt. In kleinen Szenen stellten die Jungen und Mädchen zunächst ihre eigene Lebenswirklichkeit dar – und durften dann auch mal experimentieren und in unterschiedliche Rollen schlüpfen. „Es geht um solche Fragen: Wie sehe ich mich, welche Vorstellungen haben meine Eltern und andere, ist das immer deckungsgleich?“, erläutert Charlotte von Blomberg. Wichtig sei, dass die Projektleitenden von Anfang an ganz klargestellt hätten, dass Zuhören und Toleranz die Grundvoraussetzungen im Workshop sind. „Dadurch konnten sich dann auch alle auf das sensible Thema einlassen.“
Dass es ein Interesse gibt, sich mit Geschlechterrollen, Identitäten, den damit zusammenhängen Erwartungen von außen auseinanderzusetzen, wurde dem Bündnis im Projekt klar bestätigt. „Die Teilnehmenden haben begeistert mitgemacht. Wichtig ist uns, dass es nicht um Bewertung geht, sondern darum, wahrzunehmen, wie man selbst sich sieht.“ Entscheidend für die Arbeit im Projekt ist, dass die Wünsche, Gedanken und Gefühle der Jugendlichen immer mit einbezogen werden. Charlotte von Blomberg hat im Laufe des Kurses auch Veränderungen bemerkt: „Am Anfang hatten viele sehr feste Vorstellungen davon, was männlich und was weiblich ist. Aber sobald wir etabliert hatten, dass wir alle offen sein wollen und wertfrei zuhören, was andere erzählen, haben sich viele geöffnet und ihre Haltungen gelockert. Darum geht es uns, den Blick zu weiten. Auch ganz wertfrei.“
Ruhiger Platz gesucht
Nach wöchentlichen Proben, einem Ferienworkshop und einem Probenwochenende musste UnDOING Gender wegen der Einschränkungen durch die Coronapandemie eine Pause einlegen – zumindest in Präsenz. „Wir haben versucht, den Workshop digital fortzuführen, aber das hat sich als nicht praktikabel erwiesen“, sagt Charlotte von Blomberg. Es gab einfach nicht genug Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zu Hause sowohl über einen ruhigen Raum als auch ein technisches, störungsfrei laufendes Gerät verfügten und beides eine Stunde ungestört nutzen können. Das Leitungsteam behalf sich mit kleinen Aufgaben, etwa Wahrnehmungsübungen, die in Fotos und Videos mündeten. So konnten die Teilnehmenden am Projekt arbeiten, wann sie es zu Hause einrichten konnten. „Das hat gut geklappt“, berichtet die Theaterpädagogin. Trotzdem sind alle froh, dass im Juni die Proben wieder aufgenommen werden konnten. Um die verlorene Zeit aufzuholen, sind wöchentliche Proben bis in die Sommerferien geplant sowie nochmal ein Probenwochenende und eine Probenwoche in den Ferien. Denn am Ende soll es eine Aufführung geben, kein klassisches Theater- oder Musikstück, sondern eine Mischung aus szenischen Darstellungen, Film- und Soundelementen.