„Meine Natur – entdecken und erleben“: Wenn das Klimamobil auf den Hof fährt
Die Natur zu entdecken beginnt schon damit, Müll und seine schädlichen Folgen wahrzunehmen. Aber auch Upcycling, Tiere beobachten und Spielen können die Kinder eines Geflüchtetenheims in Essen – immer dann, wenn Eva Hofmann zu ihnen kommt.
Frau Hofmann, wie entstand die Idee für Ihr Projekt „Meine Natur – entdecken und erleben“?
Mir fällt immer wieder auf, wie viel Müll herumliegt. Es gibt oft so wenig Bemühen, Dinge direkt in den Mülleimer zu werfen. Deshalb fangen unsere Treffen immer damit an, erst einmal Müll mit Greifzangen zu sammeln. Das macht den meisten Kindern auch Spaß. Gerne schauen wir auch auf die Natur, die uns umgibt. Welche Pflanzen, welche Blumen wachsen hier? Außerdem stellen wir aus gebrauchten Dingen neue Gegenstände her. Umweltbewusstsein, Recycling, Upcycling und Nachhaltigkeit sind wesentliche Elemente unserer Projektarbeit.
Sie sind Erzieherin und Spielpädagogin: Welche Rolle hat das Spielen bei Ihrer Projektarbeit? Wie haben Sie beides verbunden?
Natürlich erkläre ich viel und sage: „Es ist ganz wichtig, dass wir Müll trennen.“ Aber unsere Arbeit hat nicht nur erzieherischen, sondern vor allem partizipativen und spielerischen Charakter. Wir spielen zum Beispiel unser Angelspiel: An den Angeln sind Magnete befestigt und die Kinder können Müllgegenstände wie Getränkedosen, Pappe oder Plastikteile, die mit Klammern oder kleinen Magneten bestückt sind, aus einem imaginären Meer, in dem Fall von einer blauen Decke, angeln. Alternativ nutzen wir Bildkarten mit Wegwerfartikeln, die wir symbolisch in kleinen Mülltonnen entsorgen, um für das Thema Mülltrennung zu sensibilisieren. Ein anderes Highlight ist Seilchenspringen. Wir stellen zum Beispiel eine Seildrehmaschine zur Verfügung und drehen Seile aus Sisal, einem natürlichen Material. Diese dürfen die Kinder dann behalten.
Sie als Projektleiterin sind zusammen mit einer anderen Honorarkraft vor Ort. Wie genau laufen die Treffen ab?
Wir konnten für viele Treffen das sogenannte „Klimamobil“ vom Spielmobil e.V. ausleihen oder nutzen einen anderen Anhänger mit Spielen und Materialien. Wenn die Kinder mich sehen, kommen sie schon aus allen Ecken herausgelaufen und rufen mir aufgeregt zu: „Eva, spielen wir heute wieder?“ Ich bringe zum Teil auch Ausrüstung wie Fotoapparate mit, mit denen sie selbst losziehen können. Wir haben auch Lupendosen, in denen wir uns Ameisen oder andere Insekten aus der Nähe anschauen und danach wieder freilassen. Oder wir basteln aus alten CDs und Murmeln Kreisel, die sie verzieren und dann über den Hof kreiseln lassen. Aber alle Aktivitäten sind freiwillig und vieles entwickelt sich auch während der Treffen.
Wie oft treffen Sie sich im Rahmen von „Kultur macht stark“?
Wir bieten vom ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen e.V. immer ein kostenloses und frei zugängliches Angebot für alle Kinder an, in diesem konkreten Fall für Kinder einer Geflüchtetenunterkunft in Essen. Es gibt regelmäßige wöchentliche Treffen am Mittwochnachmittag für drei Stunden. Von Juli bis Dezember 2023 sind dies insgesamt 20 spielpädagogische Einsätze. In den Sommerferien lief zudem ein Ferienkurs an fünf Tagen in Folge. Ein weiterer 5-tägiger Ferienkurs folgt in den Herbstferien. Wir haben keine Teilnehmerbegrenzung oder Altersbeschränkung. Es kommt auch vor, dass einzelne Eltern dazukommen, zum Beispiel ein Vater, der mit uns zusammen mit Straßenkreide malt, auch mal seilspringt oder Hüpfkästchenspiele mitmacht.
Wie sieht der Abschluss des Projekts aus?
Am Ende unserer wöchentlichen Treffen steht im Dezember die Abschlusspräsentation. Dann zeigen wir die Fotos unserer Aktionen, Plakate, die unsere Ausflüge darstellen oder auch gebastelte Gegenstände wie Utensilos aus Tetrapaks, das Ausprobieren des Blättermikroskops oder einfache Zeichnungen oder Kunstwerke, die die Kinder angefertigt haben. Vor allem die spielerische Auseinandersetzung mit den Themen Natur, Umwelt und Kunst wollen wir abbilden. Hier bieten sich unter anderem unsere selbstgestalteten Fühlkästen mit verschiedenen natürlichen Inhalten an. Das werden wir mit einem kleinen Fest verbinden, sodass auch Eltern und andere Bewohnende und natürlich unsere Kooperationspartner Eindrücke vom Projekt gewinnen.
Welche Zielgruppe konnten Sie mit „Meine Natur – entdecken und erleben“ erreichen, welche Entwicklungen beobachten?
Wir treffen hier Kinder, die zum Beispiel aus Afghanistan, aus Syrien oder aus der Ukraine kommen. Natürlich stehen wir da auch vor kommunikativen Herausforderungen. Wörter wie „Klimawandel“ oder auch „Nachhaltigkeit“ sind schwer zu erklären. Deshalb schaffen wir Zugänge übers Spielen, das wir immer auch verbal anleiten. Die Kinder leben mit ihren Familien oft auf sehr begrenztem Wohnraum und stehen natürlich unter Druck, haben wenig Spielzeug und selten einen Spielplatz um die Ecke. Wenn das Klimamobil beziehungsweise unser Spielmobil auf den Hof fährt, ist das für alle Kinder ein großer Moment. Ich beobachte, dass auch Kinder, die vielleicht eher unkonzentriert oder auch einmal aggressiv sind, sich im Laufe der Zeit über das Spielen positiv entwickeln. Sie fragen plötzlich: „Wie geht es dir, Eva?“. Ich beobachte, dass viel Sozialkompetenz, viel Sprachkompetenz, viel Kommunikation erlebt und erlernt wird. Und außerdem kommen wir mit unserem Projekt dem Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention und auch einem der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung nach: Dem Recht auf Spiel und freie Zeit.