Upcycling-Abenteuer im Schloss
Ob der lokale Hofladen oder das Stadtteilbüro: Das Projekt „kunst formen“ aus Pirna zeigt, wie kulturelle Bildung von lebendigen Netzwerken vor Ort profitiert. Auch ein Ausflug nach Dresden trägt zum Erfolg des Ferien-Workshops bei.
Barocksäle, ein großer Vorplatz und ein weitläufiger Park: Im Jagdschloss Graupa gibt es viel zu entdecken. „Das Schloss ist ein echter Abenteuerspielplatz. Außerdem scheint hier fast immer die Sonne“, erzählt die Museumspädagogin Norma Strunden. Seit 2015 gestaltet sie im Auftrag des im Jagdschloss ansässigen Museums – den Richard-Wagner-Stätten – Projekte für Kinder und Jugendliche.
Für das „Kultur macht stark“-Projekt „kunst formen“ kommen in den Herbstferien zwanzig Kinder im Grundschulalter in dem Ortsteil der sächsischen Kreisstadt Pirna zusammen – selbstverständlich bei strahlendem Sonnenschein. Bündnispartner sind die Kindertagesstätte Schlumpfenhaus des Arbeiter-Samariter-Bund Ortsverbands, die Stadtverwaltung Pirna und die Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna, die die Wagner-Stätten betreibt.
Abfallprodukte künstlerisch aufwerten
Die Idee zum Ferien-Workshop kam Strunden bei einem Besuch in der norwegischen Hauptstadt Oslo: „Vor meinem Hotel war ein Stadtplan in Form einer Skulptur aus bunt angemaltem Plastikmüll zu sehen“, erinnert sie sich. „Aus der Entfernung war nicht zu erkennen, dass es sich bei dem Material um auf der Straße gesammelten Müll handelte.“ Das hätte sie inspiriert, erzählt sie. Also nahm Strunden die Idee mit nach Deutschland.
In der museumspädagogischen Werkstatt der Wagner-Stätten lebt sie wieder auf. Die Bündnispartner sind schnell gefunden. Aus vorherigen Vorhaben kennt man sich und pflegt den Austausch auch zwischen den Projekten. Die Workshop-Tage beginnen mit einem gemeinsamen Frühstück und Yoga-Übungen. Anschließend arbeiten die Kinder an eigenen Büsten und Skulpturen. Ob Pappmaché, Draht, Kaffeekapseln oder Gemüsenetze – jedes Material ist erlaubt. Upcycling, also die Herstellung neuer Produkte aus Abfallmaterial, wird so auf kreative Weise greifbar.
Wichtig sei ihr, den Teilnehmenden ein Bewusstsein für nachhaltigen Konsum im Alltag zu vermitteln, sagt Strunden. Deshalb kocht sie jeden Mittag gemeinsam mit zwei Betreuerinnen der Kita, die auch zum Projektteam gehören. An manchen Tagen helfen die Kinder in der Küche mit. Plastikmüll entsteht dabei nicht – die frischen Zutaten werden im Hofladen um die Ecke besorgt. „Möglich macht das die Förderung durch ‚Kultur macht stark‘. Für jedes Kind ist dabei auch ein Budget für Essen vorgesehen.“
Ortswechsel sorgen für Inspiration
Wie wertvoll ein starkes lokales Netzwerk für ein Projekt sein kann, zeigt sich bei „kunst formen“ nicht nur kulinarisch. Bei der Suche nach Teilnehmenden profitiert Strunden von der guten Verbindung zum Stadtteilbüro Pirna-Sonnenstein. Ein Stadtteilmanager vermittelt den Kontakt zum Schlumpfenhaus, einer Einrichtung, die Kindertagesstätte und Schulhort kombiniert. Kinder aus Familien mit schwierigen Lebenslagen erhalten dort nachmittags sozialpädagogische Betreuung. Ferien vom Alltag in einem Schloss: Das Angebot überzeugt viele der Kinder, sich auf den Weg ins nahe Graupa zu begeben.
Für die meisten von ihnen ist „kunst formen“ der erste Kontakt mit Bildender Kunst. Doch Berührungsängste zeigen sie nicht. Im Gegenteil: „In den Wagner-Stätten begegnen die Kinder einer Welt, die spürbar nicht ihre eigene ist. Diese neuen Eindrücke saugen sie auf wie ein Schwamm.“ Auch ein Ausflug nach Dresden gehört zum Programm. Ganz besonders inspiriert die Gruppe ein kurioses Schmuckstück im Grünen Gewölbe – ein Kirschkern, in den mehr als hundert Gesichter geschnitzt sind.
Am Ende des Dresden-Besuchs dürfen die Kinder im Atelier der Staatlichen Kunstsammlungen aus Abfallprodukten ihr Haus der Träume bauen. Der Raum ist an diesem Tag exklusiv für sie reserviert, ein Privileg, das die Gruppe Strundens Kontakt zur Museumsmitarbeiterin Simone Seifert verdankt. Die Ergebnisse überraschen die Museumspädagogin: „Ein Junge, der zuvor kaum für Bastelarbeiten zu begeistern war, arbeitete dort hochkonzentriert an seinem Traumhaus – einem Museum mit beeindruckenden Säulen im Stil des Klassizismus.“
Bei einer Abschlussausstellung präsentiert die Gruppe ihre Kunstwerke dem Publikum. Das Stadtteilbüro wirbt für die Ausstellung, sodass die Menschen vor Ort erleben können, was die Kinder aus der Nachbarschaft auf die Beine gestellt haben. Viele der Kinder konnten im Workshop bisher ungeahnte Talente entdecken und eine andere Facette ihrer selbst präsentieren: „Die Lehrkräfte sind oft erstaunt, wie verändert die Kinder nach der Zeit in Graupa sind, insbesondere jene Kinder, die in Hort und Schule eher negativ auffallen“, sagt Strunden. Ein neuer Ort als Chance, sich neu zu erfinden: Der „Abenteuerspielplatz“ in Graupa ermutigt die Kinder, auch im Alltag nach weiteren Abenteuern zu suchen.