Schreibwerkstatt – ein Ort zum Ankommen und Wohlfühlen
Dem „Geheimnis der Schmetterlinge" spürten Sieben- bis 14-Jährige in der hessischen Gemeinde Grävenwiesbach nach: beim Beobachten auf Blühwiesen, mit kleinen Geschichten und beim Drehen eines Films. Fast das gesamte Dorf hat sie dabei unterstützt.
Kinderbuchautorin Maja Nielsen schwärmt immer noch von der „unglaublichen Gemeinschaftsleistung eines Dorfes, wenn sie vom Sommerferienprojekt „Das Geheimnis der Schmetterlinge“ in der hessischen Gemeinde Grävenwiesbach berichtet. Als Autorenpatin hat die 57-Jährige eine Schreibwerkstatt für 14 Kinder und Jugendliche organisiert. Die meisten aus dem Kreis der Teilnehmenden leben noch nicht lange im Hochtaunuskreis, sind erst vor Kurzem mit ihren Familien aus Syrien geflüchtet. Sie besuchen die Wiesbachschule, die sich in dem durch „Kultur-macht-stark“ geförderten Projekt mit dem TSV 08 Grävenwiesbach e.V. und dem Friedrich-Bödecker-Kreis Hessen e.V. zusammengeschlossen hat.
Die Eltern der Teilnehmenden seien sehr dankbar gewesen, dass ihre Kinder während der Sommerferien sinnvoll betreut wurden, berichtet Autorenpatin Maja Nielsen: „Denn viele Familien mit Fluchthintergrund haben keine finanziellen Mittel für andere Ferienbetreuungsangebote.“ Die Kinderbuchautorin hat eine besondere Beziehung zu dem Ort im Hochtaunuskreis, denn dort fand ihre letzte Lesung vor dem ersten Corona-Lockdown statt und sie hatte Grävenwiesbach als „tollen Ort mit engagierten Menschen“ erlebt. „Dort herrscht eine großartige Willkommenskultur“, meint die Autorin. „Das galt vor dreißig Jahren bereits, als die Menschen vor dem Kosovokrieg flohen. Heute profitieren Menschen von dieser Offenheit, die ihre Heimat Syrien oder Afghanistan verlassen mussten.“
Künstlerische Beschäftigung mit den Flugakrobaten
Für das „Geheimnis der Schmetterlinge“ wurde die Wiesbachschule in den Sommerferien zur Schreibwerkstatt. „Die Gruppe war von Anfang an hochmotiviert“, schildert Maja Nielsen. „Ab Tag zwei standen manche schon vor der anberaumten Zeit vor der Tür, da sie es kaum erwarten konnten, endlich loszulegen.“ Am Whiteboard wurden ihnen zuerst viele erstaunliche Fakten über Schmetterlinge und Käfer präsentiert, bevor die Kinder und Jugendlichen die Insekten auf der Blühwiese der Schule leibhaftig beobachteten. Anschließend ging es an die künstlerische Beschäftigung mit den zarten Flugakrobaten und Krabbeltieren: Die Teilnehmenden haben kleine Geschichten erfunden, Fantasie-Insekten gebastelt und Schmetterlinge gemalt. Zudem haben sie einen Film gedreht, wurden in die Grundzüge der Kameraarbeit und der Szenegestaltung eingeweiht. Am dritten Tag setzten sie ihre Beobachtungen im Tiergarten Weilburg fort, wo es Bären, Wölfe und Wildkatzen zu entdecken galt.
Schuldirektor deckte persönlich den Tisch
Obwohl der Tiergarten nur sieben Kilometer entfernt von der Gemeinde Grävenwiesbach liegt, war der Besuch für die meisten Kinder und Jugendliche eine Premiere. Den Bus für den Transfer haben ehrenamtliche Kräfte aus der Dorfgemeinschaft spendiert. Auch für die mittägliche warme Mahlzeit war Teamwork angesagt. Jan Drumla, der Schulleiter der Wiesbachschule, konnte lokale Restaurants und Imbissgaststätten für die Essensversorgung gewinnen. Er selbst übernahm das Decken der Tische und das Abholen der Speisen. Neben den gemeinsamen Mahlzeiten sollte auch der Sport zur Integration beitragen, deshalb engagierte sich auch der TSV 08 Grävenwiesbach. Sport-Coach Andreas Rohmann hat die Schreibwerkstatt begleitet und ergänzende Bewegungsimpulse gesetzt, sodass alle sich zwischendurch auch mal körperlich auspowern konnten.
Kuriositätenkabinett wie einst im 17. Jahrhundert
Derart umhegt und versorgt, konnten die Kinder und Jugendlichen sich ganz der Abschlusspräsentation widmen – ihrem Kuriositätenkabinett. Auf die Idee der Kuriositätensammlung kamen sie durch die Beschäftigung mit der Naturforscherin Maria Sibylla Merian, die sich im 17. Jahrhundert in den tropischen Regenwald im südamerikanischen Surinam aufmachte. Aus dieser Zeit stammt das Sammlungskonzept kurioser, wundersamer Dinge, eine Art Vorläufer der Naturkundemusseen, wie wir sie heute kennen. „In dem Projekt ging es nicht nur um die künstlerische Inspiration durch Schmetterlinge und Insekten, sondern es wurde auch immer zum Thema, wie wichtig Umweltschutz und Artenvielfalt“ sind“, erläutert Maja Nielsen.
Nachtwanderung mit dem Schmetterlingsexperten
Für ihr neues Buch stand sie in Kontakt mit dem Schmetterlingsexperten Dr. Matthias Henker, den sie auch für die Schreibwerkstatt gewinnen konnte. Von ihm geleitet fand vor der Abschlusspräsentation eine Nachtwanderung statt. Die Kinder und Eltern schwärmten aus zum Nachtfalterfang mit Lichttonne. Dafür hatte der Experte im Vorfeld einige Bäume im nahegelegenen Wald mit Zuckerwasser präpariert, an denen sich viele Nachtfalter im Schein der Taschenlampe beobachten ließen. „Das Abschlussfest war der absolute Höhepunkt des Projektes“, schildert Maja Nielsen. Nach der Wanderung betraten die Eltern den nur mit Kerzen sparsam beleuchteten Raum. Hell ausgeleuchtet präsentierte sich darin das Kuriositätenkabinett: gefüllt mit Fundstücken aus der Natur, den Bildern und künstlerischen Objekten. Zudem lasen einige der Kinder und Jugendlichen ihre eigenen Texte vor, bevor zum Finale ihr Film gezeigt wurde.
Eltern konnten stolz sein auf ihre Kinder
Die Kinder und Jugendlichen haben während der Schreibwerkstatt nicht nur ihre Sprachkenntnisse und ihre künstlerischen Talente erweitert. Sie fühlten sich auch angenommen in der Dorfgemeinschaft. Das gilt auch für die Eltern, über deren rege Teilnahme sich insbesondere Schulleiter Jan Drumla gefreut hat, der weiß, wie schwer es sein kann, auch die Eltern zu erreichen. „Sie sind trotz Sprachbarriere in die Schule gekommen und hatten sichtlich Spaß an der Veranstaltung. Der Stolz auf das, was ihre Kinder geleistet haben, tut auch ihnen gut“, meint Maja Nielsen.