Wie stelle ich mir mein Zuhause vor? Den Wert eines Ortes durch Kunst verstehen
Das eigene Zuhause bedeutet Kindern viel. Was passiert, wenn sie diesen Ort neu erfinden und gestalten können, davon erzählt das Projekt „Behausungen“. Bis die Kinder sich trauen, ihre Traumhäuser mit Pool zu entwerfen, kann es manchmal dauern.
„Was macht einen Ort für mich aus?“, „Was spüre ich?“, „Wer will ich sein?“ oder „Will ich einfach nur sein?“, fragt Katrin Bergdolt die Kinder der sechsten Klasse in der Paul-Moor-Schule in Nürnberg. Die Erlebnispädagogin und Künstlerin hat das Projekt „Behausungen“ mit der Lehrerin Ulrike Funk-Schüßler ins Leben gerufen, getragen von dem Bündnis aus Schule, Förderverein und der Evangelischen Jugend Nürnberg. Gefördert wurde das Projekt durch das Paritätische Bildungswerk Bundesverband e.V.
Da das eigene Zuhause für die Kinder der Förderschule ein sensibles Thema sein kann, bringt Bergdolt zu Beginn des Projekts ihre drei Hühner mit in den Unterricht. Sie sind ihr Türöffner. Der Einstieg in das Projekt gelingt mit der Frage, wie die Kinder sich ein Heim für die Hühner vorstellen. Bergdolt schafft es, einen Gedankenprozess anzustoßen: Anfangs noch skeptisch, beginnen die Kinder, die Hühner zu zeichnen oder mit den von Bergdolt mitgebrachten Materialien wie Holz oder Knete zu hantieren.
Bergdolt fragt die Kinder: „Welche Materialien möchtet ihr zum Bauen nutzen?“ „Oder wollt ihr sogar selbst etwas mitbringen?“ Der Erlebnispädagogin ist es wichtig, dass die Gruppe mit möglichst einfachen Mitteln arbeitet. Denn die Werke sollen so nachhaltig und kreativ wie möglich gestaltet werden. Das Werkzeug selbst oder die Materialien sind nur die Hilfsmittel, mit denen die Kinder ihre Gefühle und Träume übersetzen. Zu Beginn fällt es vielen schwer, sich auf das kreative Tun einzulassen. Erst mit der Zeit trauen sie sich, ihre Traumhäuser mit Pool und Garten zu entwerfen. Nach der Gestaltung der ersten Ideen im Klassenraum führt der zweite Teil des Projekts die Kinder aufs Land. Draußen in der Natur gelingt schließlich der Durchbruch. Auch Kinder, die im Klassenraum noch Hemmungen zeigen, schaffen es umgeben von den Eindrücken der Natur, ihren Ideen freien Lauf zu lassen.
Die Zeit in der Natur als Schlüssel zum Erfolg
In Lauf an der Pegnitz führt Bergdolts Kollegin Marlen Maußner, eine gelernte Schreinerin, einen Hof mit viel Platz, um sich kreativ auszuleben. Hier realisieren die beiden viele gemeinsame Projekte. Die Schreinerin teilt Bergdolts Leidenschaft. Mit alten Gegenständen oder dem Holz der Bäume möchte sie die Kinder inspirieren, Neues zu schaffen. Die Ideen, die anfangs zögerlich im Klassenzimmer entstanden, werden auf dem Hof Wirklichkeit – gebaute Traumhäuser aus Holz. Mit Impulsen wie „Was bietet mir die Natur an Platz, an Raum und innerer Freiheit?“, doch vor allem mit der Frage „Was ist meine eigene Idee?“, möchte Bergdolt die Kinder dazu inspirieren, die Natur wahrzunehmen und sich umgeben von Natur zu entfalten. Während die Arbeit auf dem Hof als Schlüssel zum Erfolg dient, liegt darin gleichzeitig die größte Hürde des Projekts. Die meisten Kinder, die am Projekt teilnehmen, wohnen in der Stadt. Sie auf den Hof zu bringen und den Aufenthalt mit den Schulzeiten der Kinder zu koordinieren, bedeutet viel Aufwand. Es bedeutet auch, dass sich Kinder wie Erwachsene neben dem Alltag der Förderschule auf das Projekt einlassen. Dafür gibt es viel gegenseitiges Vertrauen. Ein zusätzliches Hindernis stellen Ängste der Schülerinnen und Schüler dar. Viele haben zu Anfang Berührungsängste, Zeit draußen in der Natur zu verbringen. Eine Fachlehrerin, ein Erzieher und eine Sozialarbeiterin von der Schule helfen ehrenamtlich in den Projektstunden. Die Mühe lohnt sich.
Der Ort spricht für sich
Denn angekommen auf dem Hof verfliegen die Sorgen aus dem Klassenraum durch die praktische Arbeit an den Projekten. Die Kinder klopfen Nägel in ihre Häuser, lernen einen Akkuschrauber zu bedienen oder sind einfach in der Natur. Hier spinnen sie ihre Ideen weiter, indem sie Bewohnerinnen und Bewohner für die Häuser bauen. „Das hatte ich gar nicht vor“, erzählt die Erlebnispädagogin. „Die Kinder haben das Material genommen und mit Knete Figuren gebaut, wie sie sich selbst in den Häusern sehen – das war wirklich spannend“. Auf den Inseln in dem kleinen Teich auf dem Hof bauen die Schülerinnen und Schüler Terrassen oder eine Seilbahn zwischen den Baumhäusern. Nicht nur die Arbeit an den Behausungen macht das Projekt für Katrin Bergdolt so besonders. Es ist vor allem die gemeinsame Zeit in der Natur, die sie und die Kinder schätzen: Zusammen ein Feuer machen oder im Ofen auf dem Hof Pizza backen. Einfach nur das Miteinander zu genießen, das sei für die Kinder besonders, erzählt die Erlebnispädagogin.
Das eigene Ich spüren
Die pädagogische Arbeit mit den Kindern, Kunst und Natur, all das wirke im Projekt zusammen. Zu Ende fasst die Erlebnispädagogin zusammen: „Die Kunst hilft den Kindern, sich auszudrücken. Durch die Verbindung zur Natur lernen sie, ihre Emotionen zu spüren.“ Die gebauten Behausungen machen die Kinder am Ende sehr stolz. „Für uns alle war nicht jeder Tag einfach und auch die Zusammenarbeit ist es nicht immer. Aber im Kopf bleibt es zu 100 Prozent schön“, so die Erlebnispädagogin. Die Kinder haben etwas geschaffen, das ihnen selbst viel gibt. Für Bergdolt liegt darin eine große Kraft.