Achterbahnfahren für alle
Wie inklusiv ist ein Freizeitpark? Dieser Frage gingen Hamburger Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen im Projekt „Barrieren“ nach. Dabei entwickelten sie eine Live-Performance, bei der das Publikum Fahrt aufnahm.
„Die Idee eine Live-Performance zu gestalten, entwickelten einige Jugendliche in einem Vorgängerprojekt“, erinnert sich Nehle Mallasch. Sie betreut im Hamburger Thalia Theater seit Jahren Projekte mit jungen Menschen, einige davon leben mit Behinderungen. Die Jugendlichen wollten eine Ausstellung machen über das Suchen und Finden der eigenen Identität – aber keine zum bloßen Anschauen. Das Publikum sollte selbst aktiv werden. Mallasch findet die Idee super. Ab Herbst 2022 geht sie gemeinsam mit den Bündnispartnern Lukulele e.V. und dem Jugendkunsthaus ESCHE auf die Suche nach Teilnehmenden. Die beiden Häuser bieten offene Workshops für alle an, die sich für die geplante Performance namens „Mapping: Stadt-Land-Fluss“ interessierten. „Das funktioniert sehr gut, wie von selbst entsteht dabei eine inklusive Gruppe“, berichtet Mallasch. Nach und nach bilden sich in den Workshops zudem die Schwerpunkte der insgesamt fünf von „Kultur macht stark“ finanzierten Teilprojekte heraus – darunter eines zu Barrieren im öffentlichen Raum.
Inklusion braucht Orte der Ruhe
„Wäre es nicht spannend zu untersuchen, wie inklusiv Hamburger Spielplätze sind?“, schlägt Videokünstler Severin Renke vor, der die Teilprojektgruppe „Barrieren“ gemeinsam mit Theatermacherin Teresa Rosenkrantz ab dem Frühjahr 2023 begleitet. „Nein“ – lautet das Urteil der Teilnehmenden, zumal die meisten von ihnen sich an diesen Orten selbst fast nicht mehr aufhalten. Sie haben eine andere Idee: den Hamburger DOM unter die Lupe nehmen. Das ist ein mobiler Freizeitpark, der in Hamburg dreimal im Jahr stattfindet. Zu Beginn des Projekts sucht die Gruppe das Gelände des Freizeitparks nach Barrieren ab und macht sich danach zunutze, dass fast jedes Kind in Hamburg schon einmal auf dem DOM war. Sie führen vor laufender Kamera 54 Interviews mit Kindern und Jugendlichen aus den anderen Teilprojektgruppen von „Mapping: Stadt-Land-Fluss“. Ihre Frage: Wo schließt der Freizeitpark aus ihrer Sicht Menschen aus? Dabei werden Barrieren sichtbar, die Renke und Mallasch überraschen. So berichtet etwa ein mit Autismus lebender Junge, den viel Trubel und Lautstärke schnell erschöpfen: „Nicht nur auf dem DOM, grundsätzlich wünsche ich mir, dass es in der Stadt mehr Ruhezonen gibt.“
Loopings für die Jüngsten
Einige Fahrgeschäfte auf dem DOM erfordern eine bestimmte Körpergröße – viele jüngere Kinder sehen auch das als Barriere. Sie haben noch nie gespürt, was ein Looping in einer Achterbahn mit dem Körper macht. Aus dieser Beobachtung heraus entwickelt die Projektgruppe ein zentrales Element für ihre Live-Performance: „Die Kinder und Jugendlichen wollten das Gefühl, Achterbahn zu fahren, erlebbar machen – und zwar für alle Menschen im Publikum, egal wie alt sie sind“, erzählt Renke. Sie bitten Renke darum, sich mit der Kamera in die Achterbahn zu setzen, um den bei seiner Fahrt entstehenden Film während der Ausstellung an die Wand zu projizieren. Gesagt, getan. Damit die Ausstellungsbesuchenden das Filmerlebnis noch besser mitfühlen können, performt zudem das jüngste am Projekt teilnehmende Mädchen live dazu. Während der Film läuft, bewegt sie sich, als säße sie in der Bahn und schafft es tatsächlich, das ganze Publikum zum Mitmachen zu bewegen. „Da stand niemand mehr still – alle fuhren Achterbahn, es war ein riesiger Spaß“, erinnert sich Renke später.
Visionen eines besseren Freizeitparks
Die begehbare Abschluss-Ausstellung von „Mapping: Stadt-Land-Fluss“ füllt im Sommer 2023 insgesamt zwei große Hallen in Hamburg-Altona. Die Video-Statements der Kinder und Jugendlichen laufen dabei auf einer Leinwand ab. Gleichzeitig visualisieren junge Zeichnerinnen und Zeichner die in den Videos beschriebenen Visionen eines inklusiveren Freizeitparks. So entstehen innerhalb der Veranstaltungswoche viele großformatige Bilder – etwa von Achterbahnen für kleine Kinder, Buden mit kostenlosem Eis und natürlich auch von einem DOM mit Räumen der Stille für alle, die zwischendurch mal etwas Ruhe brauchen.
„Die Performance war insgesamt ein toller Erfolg, es kamen rund 580 Menschen vorbei“, berichtet Mallasch hinterher. Da innerhalb des Projekts viel mehr Ideen entstanden sind, als die Gruppe umsetzen konnte, knüpft Mallasch direkt ein Folgeprojekt an: Zum Thema „Inseln“ und dem Leben mit und am Wasser entwickelt sie gemeinsam mit 150 Teilnehmenden und denselben Bündnispartnern eine weitere Performance.