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Mit dem Zirkuscamp aufs Land – eine Woche ohne Strom und voller Erlebnisse

Kein Strom, kaum Handyempfang, aber ganz viel Stille und Raum für neue Erfahrungen: Das konnten Kinder in einem Zirkuscamp auf dem Reinighof in der Pfalz erleben.

Kind bei Jonglieren
© Constantin Offel

Das Training beginnt damit, dass die Kinder alle möglichen Zirkuselemente kennenlernen: Jonglage mit Tüchern und Bällen, Akrobatik und Clownerie, Diabolo, Tellerdrehen, Gegenstände durch die Luft wirbeln, wieder fangen und Geschicklichkeit trainieren. Meistens suchen sich die Teilnehmenden intuitiv eine Disziplin aus, die sie weiter vertiefen möchten. Manchmal sehen sie aber auch etwas bei anderen Kindern, das sie unbedingt ausprobieren möchten.

Für die Trainerin Elisabeth Rudolph gehört das dazu: „Wir öffnen Räume, die die Kinder dann für sich nutzen.“ Die Klassenclowns dürfen im Zirkuscamp auch mal Clowns sein – vorausgesetzt sie lassen den anderen genügend Raum. Die Kinder lernen, dass beim Zirkustraining auf einen Schritt nach vorne auch wieder einer zurück folgen kann. Frustrationstoleranz, Durchhaltevermögen und Vertrauen, dass die eigenen Fähigkeiten sich entwickeln werden, erfahre jedes Kind auf seine Weise. In jedem Fall sei die Woche für alle Teilnehmenden ein Wechselbad der Gefühle, erzählt Elisabeth Rudolph. „An einem Tag klappt etwas, an einem anderen gar nicht. Wenn die Kinder sich dann untereinander vergleichen, kann auch mal die Stimmung kippen. Dann sind wir als Trainerinnen und Trainer gefragt, die Kinder aufzufangen.“

Vieles ist anders, als die Kinder es von Zuhause kennen

Elisabeth Rudolph und ihr Mann, Constantin Offel, veranstalten das Zirkuscamp mitten auf dem Land in der Südwestpfalz. Gefördert wird das Projekt von der BAG Zirkuspädagogik e.V. einem von 27 Programmpartnern von „Kultur macht stark“. Der Reinighof liegt dort, wo die kleine Landstraße endet und tiefe Wälder das Tal umschließen. Der Hof ist Elisabeth Rudolphs Zuhause. Das Camp findet auf einem Naturzeltplatz statt. Hier gibt es keinen Strom und kaum Handyempfang – ein echter Ort der Stille. Sechs Tage verbringen die zwischen acht und zwölf Jahre alten Kinder hier im Zirkuscamp. Sie schlafen in eigenen Zelten oder in der großen Jurte. Vieles ist anders, als sie es von Zuhause kennen. Das Wasser kommt aus einer Quelle. Im Sommer kann man dort jeden Tag baden. Und auch die Toilette hat keinen Spülknopf. Alles, was in der Toilettenschüssel landet, wird kompostiert. „So wird das Thema Nachhaltigkeit quasi nebenbei vermittelt“, meint Elisabeth Rudolph. Der abgeschiedene Ort im Pfälzer Wald und die besondere Atmosphäre auf dem Land macht etwas mit den Kindern: Sie lernen, sich auf die neuen Bedingungen und aufeinander einzulassen. Dazu gehört auch es auszuhalten, für längere Zeit ohne funktionierendes Handy zu sein.

Frau sitzt neben Hund auf Wiese
© Privat


„Ein Zirkus mit zwei, drei Rampensäuen funktioniert nicht“

Im Zirkuscamp achten Elisabeth Rudolph und ihre drei Teammitglieder darauf, dass es bei aller kreativen Freiheit auch geordnet zugeht. Denn „ein Zirkus mit zwei, drei Rampensäuen funktioniert nicht“, wie sie sagt. „Jeder muss seinen Platz finden und am Ende kann auch jeder in der Manege gleich gut gesehen werden. Alle stehen sozusagen in der ersten Reihe.“ Zwar liege der Fokus oft auf einer einzelnen Person, aber er wechsle ständig. Auch das mache für Rudolph ein Stück weit die Faszination für den Zirkus aus. Die Kinder im Camp kommen teilweise aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Als Bündnispartner stellt die Gebietskörperschaft Pakt für Pirmasens den Kontakt zu den Kindern und ihren Familien her. Mit im Boot ist auch die Ebertsheimer Bildungsinitiative e.V., die bei der Antragsstellung hilft. Es ist nicht so sehr der Unterschied zwischen Stadt und Land, den Elisabeth Rudolph hier spürt, sondern eher die Frage, wie die Kinder zuhause leben: „Was kennen sie? Wie selbstständig sind sie? Wie wurden sie bisher in ihrer Entwicklung unterstützt? Und ganz wichtig: Sind sie Kommunikation auf Augenhöhe gewöhnt?“ Auf dem Reinighof sind alle gleichgestellt, weit weg von Zuhause, ohne Eltern und meist auch ohne Geschwister.

Die große Show als krönender Abschluss

Am Ende der Woche rücken die schwierigen Momente, in denen die Bälle nicht in der Luft bleiben wollten und die Pyramide in sich zusammenkrachte, in weite Ferne. Eltern, Tanten, Onkel und andere für die Kinder wichtige Menschen sind gekommen zur großen Abschluss-Show. Viele fahren dafür bis zu zwei Stunden. Die Show gestalten Elisabeth Rudolph und ihr Team mit vollem Einsatz. Sie wählen passende Musik aus und geben den Zirkuseinlagen eine Dramaturgie, sodass es auch für die Zuschauenden spannend ist. „Ich habe noch kein Zirkuscamp erlebt, bei dem die Abschlussveranstaltung nicht ein Erfolg wurde. Am Ende sind die Eltern und natürlich die Kinder unglaublich stolz auf sich.“ Was sie besonders freut: „Alle Kinder präsentieren etwas ganz Persönliches. Im Moment der Aufführung sind sie total präsent und fügen sich in die Gruppe ein. ‚Wir alle und jeder Einzelne‘, so könnte man Zirkus für mich beschreiben.“

Kinder, die sich zu einer Pyramide aufgestellt haben
© Constantin Offel

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Der Landkreis Südwestpfalz ist ländlich geprägt und gilt als strukturschwach. Viele Menschen benötigen hier Hilfe vom Staat. Umso wichtiger war es, das Zirkuscamp im Sommer 2023 auf dem Reinighof durchzuführen. Die Teilnahme war für die Kinder kostenlos, da das Zirkuscamp von der BAG Zirkuspädagogik e.V. gefördert wurde, einem von insgesamt 27 Programmpartnern von „Kultur macht stark“. Mit Hilfe eines Bündnisses bestehend aus drei Bündnispartnern konnte das Projekt umgesetzt werden: Die Ebertsheimer Bildungsinitiative e.V. sowie die Gebietskörperschaft Pakt für Pirmasens haben den Kontakt zu den Kindern und ihren Familien hergestellt. Die Antragstellung erfolgte über die Europäische Pioniersiedlung Reinighof e.V. Hier geht es zur Website: www.reinighof.de/der-natur-zeltplatz/kinder-camp-2023/

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