Vielfalt gewinnt
Im inklusiven Projekt „Beats mit Kimbo“ im Hamburger Stadtteil St. Pauli verrät ein Musikproduzent seine Tipps und Tricks. Die Teilnehmenden erleben, dass Werte wie Höflichkeit und Respekt nicht nur im Hip-Hop, sondern auch im echten Leben zählen.
Sie haben fast schon ein wenig „Fame“, sind zumindest in ihrer Heimatstadt Hamburg bekannt. Die Kinder und Jugendlichen, die durch die „Silbersack Hood Talentförderung“ Rückhalt und Spaß an der Musik erleben, freuen sich über die starke mediale Resonanz. Das gemeinnützige Unternehmen wurde im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Nachbarschaftspreis in der Kategorie „Kultur und Sport“ ausgezeichnet. Und die Teilnehmenden des Projekts „Beats mit Kimbo“ hatten bereits einen öffentlichen Auftritt beim Festival „Rap for Refugees“. Für das durch „Kultur macht stark“ geförderte Projekt haben sich app2music e.V. und die „Silbersack Hood Talentförderung“ im Hamburger Stadtteil St. Pauli zusammengeschlossen. Zum Bündnis gehört auch der Verein „Lukulule“. Der ist nicht nur ein angesagter Ort für Auftritte im Oberhafen-Quartier, sondern er bringt sein hervorragendes Netzwerk zu Musikerinnen und Musikern in Hamburg ein.
Hip-Hop vermittelt Respekt
Kim „Kimbo Beatz“ Korsah, Musikproduzent und Sounddesigner aus Hamburg, ist für „app2music“ als Honorarkraft tätig und trifft sich einmal wöchentlich mit den Kindern aus St. Pauli. Es ist eine mehr oder weniger feste Gruppe von sechs Zehn- bis 13-Jährigen. Manchmal bringen sie Freundinnen und Freunde mit, dann ist die Gruppe zeitweise größer. In dem inklusiven Musikprojekt wird mit Samplings experimentiert, der Neubearbeitung von Musikstücken und Tönen. So entstehen eigene Hip-Hop-Songs. Bei der gemeinsamen Aktivität werden auch Werte wie Höflichkeit, Respekt und Zuverlässigkeit vermittelt. „Neben der Musik geht es auch um die Basics im menschlichen Miteinander: ,Bitte‘ und ,Danke‘ sagen und um Verbindlichkeit, um Verabredungen, die man einhält“, schildert Kim Korsah.
Kulturelle Vielfalt, raue Nachbarschaft
Die „Silbersack Hood Talentförderung“ engagiert sich für Kinder und Jugendliche, die in der Nähe der Reeperbahn aufwachsen. Die „Hood“, die Nachbarschaft, ist rau: Es gibt eine Vielfalt an Ethnien, Religionen und Sprachen. Unterschiedliche Wertevorstellungen treffen aufeinander, Konflikte treten auf, oftmals aufgrund von Vorurteilen. Viele Kinder kommen aus Familien, in denen die Eltern aus unterschiedlichsten Gründen nicht in vollem Umfang für sie da sein können. Manchmal sind es Sprachbarrieren, manchmal stehen wirtschaftliche Sorgen im Vordergrund. Nicht wenige der Eltern haben selbst kaum Unterstützung in ihrer Kindheit erlebt. Sie freuen sich darüber, dass ihre Kinder durch die Nachbarschaftsinitiative ihre Talente entdecken und Gemeinschaft erfahren können.
Kein Idyll, aber ein kreativer Schmelztiegel
Nassy Ahmed-Buscher, Mitinitiatorin der „Silbersack Hood Talentförderung“, und ihr Team haben ihre Arbeit auf vier Säulen gestellt: Sie bieten Nachhilfe, Sport-, Musik- und Kunstangebote für die Kinder und Jugendlichen in der Nachbarschaft. „Es mag zwar keine idyllische Nachbarschaft sein, aber es ist ein kreativer Schmelztiegel, der Raum lässt für Fantasie, in dem Vielfalt erwünscht ist, in dem Solidarität erlebt wird“, sagt Nassy Ahmed-Buscher. 90 Prozent der „Silbersack Hood“ haben eine Migrationsgeschichte. Manchmal prallen die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt aufeinander. Was die Kinder und Jugendlichen eint – sie identifizieren sich mit ihrem Stadtteil St. Pauli.
Klänge sammeln und Songs samplen
Das zeigt auch ihre Musik, die sie im Projekt „Beats mit Kimbo“ kreieren. Kim Korsah begleitet die Gruppe, wenn sie mit Tablets durch ihren Kiez zieht und Töne, Geräusche und Klänge sammelt. Die Teilnehmenden bearbeiten sie mit digitalen Tools, nutzen ergänzend dazu Drumbeats und feilen an Songtexten. „Ich staune, wie musikalisch einige der Kinder und Jugendlichen sind. Sie haben nie eine Musikschule besucht, aber unglaubliches Talent“, erzählt Kim Korsah. Das gilt auch für das Sprachgefühl, wenngleich er manchmal beim Schreiben der Songtexte mäßigend eingreifen muss. „Wir haben hier ein raues Pflaster, dementsprechend sind die Texte. Auch sind viele Rap-Vorbilder in ihren Texten eher derb“, erklärt der 33-Jährige, der bei den Formulierungen genau hinschaut: Beleidigende, rassistische, homophobe oder frauenverachtende Reime sind tabu. Anstelle von Battle-Raps regt er „Friendly Battles“ an: Dann loben sich die Kinder und Jugendlichen gegenseitig in Reimen.
„Es ist wichtig, dass jemand an sie glaubt“
„Lob“ sei überhaupt ein wichtiges Stichwort, meint Kim Korsah. Beim Rappen und Samplen erfahren die Teilnehmenden, dass ihre Meinung gehört wird. Beim Auftritt der Gruppe „Beats mit Kimbo“ im vergangenen Jahr standen sie im Rampenlicht, wurden beklatscht. „Es ist wichtig, dass jemand an sie glaubt“, sagt der Musiker. Kim Korsah spricht aus eigener Erfahrung. Als Sohn eines afrikanischen Vaters kennt er das Gefühl, aufgrund der Hautfarbe als Außenseiter wahrgenommen zu werden. Auch kann er sich gut daran erinnern, dass ihm selbst als Hauptschüler das Abitur „absolut unerreichbar“ erschien. „Ich habe selbst erlebt, dass ich mehr konnte als ich dachte, und habe nach dem Abitur sogar studiert“, erzählt er. „Zwar bin ich manchmal zehn Schritte wieder zurückgegangen, bevor es wieder nach vorne ging, aber heute lebe ich meinen Lebenstraum – von meiner Leidenschaft für Musik leben zu können.“ Auch Nassy Ahmed-Buscher stammt aus einem bi-nationalen Elternhaus und erinnert sich an „permanente Identitätskrisen“. Sie hat ebenfalls erfahren, dass Menschen aufgrund des Andersseins mit Vorurteilen konfrontiert sind. Auch dem will die „Silbersack Hood Talentförderung“ in den gemeinsamen Projekten mit app2music entgegenwirken: mit Rollenvorbildern, die zeigen, dass Vielfalt gewinnt. Über den Bündnispartner „Lukulule“ wurde Kontakt zu Hamburger HipHop-Künstlern und Produzenten wie „Sleepwalker“ und „Mr. Schnabel“ aufgenommen, die es ihrem Kollegen Kim „Kimbo Beatz“ Korsah gleichtun und ihr Know-how an die Kinder und Jugendlichen weitergeben.