„Kinder und Jugendliche, die wir einmal überzeugt haben, kommen gerne wieder“
Im Theater LUTZ in Hagen wird ganz genau hingehört, was Kinder und Jugendliche zu sagen haben. Denn sie entscheiden maßgeblich mit, wie die Zukunft des Theaters aussieht, sagt Theaterleiterin Anja Schöne im Interview.
Frau Schöne, Sie sprechen gern Menschen an, die üblicherweise nicht mit Theatereinrichtungen in Berührung kommen. Wie gehen Sie dabei vor?
Anja Schöne: Ich beschreibe Ihnen ein Beispiel unserer Ansprache von Kindern und Jugendlichen aus Sinti*zze- und Rom*nja-Familien. Ihre Eltern haben häufig aufgrund erlittener Diskriminierungserfahrungen durch Institutionen kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit einer kulturellen Institution wie unserer. Wir erwarten also nicht, dass sie zu uns kommen. Deswegen gehen wir zu ihnen. Wir kennen die Plätze, an denen sich die Kinder und Jugendlichen gern aufhalten, etwa im Stadtviertel Wehringhausen. Einen dieser Plätze fahren wir wöchentlich zu einer festgelegten Uhrzeit an. Wir stellen einen Pavillon auf, installieren unsere Boombox. Das bringt Aufmerksamkeit, und wer kommt, der kommt. Wir machen vor allem tänzerische und bewegungsorientierte Angebote oder bieten die Möglichkeiten, sich gestalterisch auszuprobieren. Dafür sind die Kinder und Jugendlichen aufgeschlossen.
Der wöchentliche Termin ist verlässlich und regelmäßig?
Anja Schöne: Für uns ist der Termin gesetzt. Verbindliche Absprachen und Strukturen sind für unsere Arbeit in „Kultur macht stark“-Projekten wichtig. Und für die Teilnehmenden ebenfalls. Zum Beispiel kommen auch viele syrische Jugendliche mit Fluchterfahrung – sie freuen sich, wenn sie einen festen Termin haben. Grundsätzlich können die Kinder und Jugendlichen aus dem Viertel dazukommen – wenn sie wollen. Wen wir einmal überzeugt haben, kommt aber gerne wieder.
Gleichwohl wird große Flexibilität von Ihnen und Ihrem Team verlangt?
Anja Schöne: Selbst bei den Aufführungen sind wir so flexibel, dass Interessierte spontan einsteigen können, im besten Fall wird ein Flashmob draus. Wir verstehen unsere kreativen Angebote als offene Orte des Austauschs. Der Austausch kann im Theater stattfinden – oder aber im öffentlichen Raum. Je mehr Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen sich mit ihren Vorstellungen einbringen, umso besser. Wir laden alle dazu ein, die Zukunft des Theaters mitzugestalten. Das können sie, indem sie klarmachen, was sie in der Gesellschaft anders haben wollen. Wir möchten so viele Stimmen wie möglich abbilden und deshalb hören wir sehr genau zu. Denn es sind nicht wir allein, die entscheidend sind für die Zukunft des Theaters.
Mit welchen Bündnispartnern arbeiten Sie zusammen?
Anja Schöne: Unsere durch „Kultur macht stark“ geförderten Projekte führen wir mit sozialraumaktiven Einrichtungen durch. Dabei bringen sich unterschiedliche Partner ein, etwa „Kunst vor Ort“, ein Verein, der Jugendkunst und Jugendkultur fördert, oder die Beratungsstelle für die regionale Musikszene, das „Music Office Hagen“. Andere Kooperationspartner sind der Werkhof Hagen, das ist eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, oder auch der Veranstaltungsort „Kultopia“.
Werden Sie inspiriert durch die Kooperationen in den „Kultur macht stark“-Projekten?
Anja Schöne: Jemand der einen Schulabschluss nachholt, um eine Ausbildungsstelle zu be-kommen, hat eine andere Sicht auf das Thema Bildung als jemand, der Theaterwissenschaften studiert hat. Werden beide Betrachtungsweisen zusammengebracht, eröffnen sich neue Perspektiven und Chancen – ja, wir erhalten im Theater neue Impulse.
Könnten Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Anja Schöne: Ein Jugendlicher, den wir aus einem „Kultur macht stark“-Projekt kennen, hat an einem Workshop anlässlich des 9. Novembers teilgenommen. Er hörte zu, wie jemand von Diskriminierungserfahrungen berichtete. Daraufhin öffnete sich der Jugendliche und erzählte von seinen Erfahrungen. Er hat Ablehnung aufgrund seiner Migrationsgeschichte erlebt und erfuhr keine Unterstützung, wie er damit umgehen sollte. Als Opfer von häuslicher Gewalt geriet er in eine Gewaltspirale. Ein Kollege vom Music Office Hagen, der als Kind aus dem Libanon nach Deutschland kam, hat ihn dann stark unterstützt und dazu eingeladen, bei einem Theaterprojekt mitzumachen. Diese Begegnung haben wir zum Anlass genommen, das Thema „Gewalt“ in der Spielzeit aufzugreifen, in Bühnenstücken wie auch in Workshops für Kinder und Jugendliche.