„Tanzen und den eigenen Körper spüren“
Tanz und Theater gehören fest zu „Kultur macht stark“. Wir haben die fünf Programmpartner gefragt, was Kinder und Jugendliche daran fasziniert, was sie dabei lernen und welche Vorhaben sie in der dritten Förderphase unbedingt umsetzen wollen.
Warum faszinieren viele Kinder und Jugendliche Tanz- und Theater-Projekte? Welche Erfahrungen machen diejenigen, die sonst wenig Zugang zu diesen Kultursparten haben?
Martina Kessel: Tanzen bringt den meisten Menschen Freude. Es tut gut, den eigenen Körper zu spüren und in der Bewegung zu versinken. Wir tanzen außerdem häufig im Kontakt mit anderen und erleben intensive und zutiefst menschliche Begegnungen.
Eckhard Mittelstädt: Kinder und Jugendliche, die im Schulalltag eine bestimmte Rolle innehaben, können hier einen Rollenwechsel erleben. Zudem ist es zu einer wesentlichen Alltagskompetenz geworden, sich zu präsentieren, auch in den sozialen Medien. Viele Projekte bieten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, eigene Interessen zu zeigen und zu erfahren, dass ihre Perspektive relevant ist.
Jennifer Köhler: Theaterprojekte faszinieren alle Kinder: Sie lernen neue Ausdrucksformen für ihre Gefühle und Gedanken. Als Gruppe auf etwas hinzuarbeiten, sich als wertvolles Mitglied eines Ensembles zu erfahren, mit den eigenen Ideen gehört zu werden, vielleicht sogar am Ende auf der Bühne zu stehen und die Nervosität vor einem Auftritt zu spüren – daran ist einfach alles faszinierend.
Nora Friedrich: Kinder und Jugendliche erleben: Beim Theater passiert unendlich viel. Es ist so viel mehr als das, was auf der Bühne geschieht. Theater ist auch das Bühnenbild, die Lichttechnik, das Sounddesign. Sie sehen, wie viele Gewerke beim Theater ineinandergreifen. Das ist für alle Kinder gleichermaßen spannend.
Was war bisher Ihr persönliches Highlight bei Ihren Förderaktivitäten?
Martina Kessel: Eine Sache hat mich nachhaltig beeindruckt: Viele Bündnisse haben alles dafür getan, um auch während der Pandemie mit den Kindern und Jugendlichen im Kontakt zu bleiben. Viele haben unermüdlich nach Möglichkeiten und Lösungen für die Herausforderungen dieser schwierigen Zeit gesucht.
Nora Friedrich: In unseren partizipativen Theaterprojekten entwickeln die Teilnehmenden ihre Inhalte selbst. Sie möchten ihre Lebenswelt mit ihren Themen auf die Bühne bringen. Zuletzt waren das „Umweltschutz und Klima“, „Welt und Gesellschaft“, „Geschlechtergerechtigkeit“ aber auch „sexuelle Selbstbestimmung“. Es ist, als fragten sie: „Wo kann ich meine Geschichte erzählen?“ Einfach großartig, wenn das auf den Bühnen der Theater stattfinden darf.
Jennifer Köhler: Insbesondere Theaterreisen sind eine große Bereicherung für die Gruppen. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich Kinder und Jugendliche aus sozialen Risikolagen eine solche Reise leisten können. Durch „Kultur macht stark“ wird das ermöglicht und ist in der Post-Coronazeit besonders wertvoll.
Die zweite Förderphase bei „Kultur macht stark“ war zu großen Teilen durch die Coronapandemie gezeichnet. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und welche Herausforderungen gab es?
Martina Kessel: Eine besondere Erfahrung war für mich während dieser Zeit die Zusammenarbeit auf Bundesebene. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Projektträgers im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und aller Programmpartner und Initiativen lief „Kultur macht stark“ auch während der Pandemie weiter. Ich bin sehr dankbar, dass es ein echtes Miteinander gab. Denn die Pandemie hatte auch existentielle Auswirkungen auf die vielen soloselbstständigen Tänzerinnen und Tänzer, die als Dozentinnen und Dozenten in den Projekten arbeiten und die häufig einen hundertprozentigen Verdienstausfall befürchten mussten. Auch hier konnten Lösungen gefunden werden.
Jennifer Köhler: Wir haben sehr viel Kreativität der Antragstellerinnen und Antragsteller und insbesondere der Honorarkräfte erlebt. Es wurden beispielsweise für die Umsetzung der Projekte Videotutorials oder auch liebevoll verpackte Paket- und Postsendungen für Teilnehmende hergestellt.
Eckhard Mittelstädt: Der erste Lockdown war eine große Herausforderung: Obwohl nichts mehr stattfinden durfte, standen die Telefone nicht still und es wurde ständig nach Lösungen sowohl für die Projekte wie auch für die Macherinnen und Macher gesucht. Die enge und sehr kooperative Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Projektträger war mein persönliches Highlight.
Die Digitalisierung beeinflusst weite Lebensbereiche, in vielen künstlerischen Bereichen entstehen neue Ausdrucksformen. Wie erleben Sie dies in der tanz- und theaterpädagogischen Arbeit?
Eva Stöhr: Der Fonds Darstellende Künste legt mit seinem Programm GLOBAL VILLAGE KIDS bewusst einen Förderschwerpunkt auf digitale Projekte mit Kindern und Jugendlichen. Über die Projekte mit digitalen Tools und Themen sollen künstlerisch-empowernde, bewusste und kritische Zugänge zu digitalen Medien geschaffen werden. Das geschieht zum Beispiel durch innovative Formate, die sich mit Fragen zu Künstlicher Intelligenz, Virtual und Augmented Reality, selbstlernenden Maschinen oder Social Media beschäftigen. Teilweise entstehen auch neue digitale Anwendungen, wie Games oder Apps.
Eckhard Mittelstädt: Hier hat die Coronapandemie sicher für einige Theater-Macherinnen und -Macher neue Perspektiven eröffnet. Zum Beispiel sind in den Projekten mehr Audiowalks entstanden. Gleichzeitig hören wir aus den Projekten, dass die Kinder und Jugendlichen gern wieder live miteinander arbeiten. In jedem Fall hat sich bei allen Projekten die Qualität der Präsentationsvideos erheblich verbessert.
Jennifer Köhler: Wir bekommen derzeit immer wieder gespiegelt, dass alle froh sind, dass Theater „wie gewohnt“ stattfinden kann: Live spielen und live sehen. Wir gehen aber davon aus, dass sich die Digitalisierung zunehmend auf die künstlerische Praxis in den Projekten auswirken wird. Wir stellen hierfür gerne auch entsprechende Mittel zur Verfügung, etwa für medienpädagogische Begleitung oder für die Miete von technischem Equipment.
Martina Kessel: Die digitale Medienkompetenz ist inhaltlich in vielen Projekten Thema, so etwa die Spuren, die jede und jeder von uns im Netz hinterlässt. Digitale Medien sind aber auch in der künstlerischen Arbeit omnipräsent: Musik, Bühnenbild, Videographie, Entwicklung von Bewegungsmaterial, Sprache, Licht, Sound – überall werden digitale Medien eingesetzt. Es gibt Projekte, in denen auch das Schneiden eines Videos zum Angebot gehört.
Was haben Sie sich für die dritte Förderphase vorgenommen?
Eckhard Mittelstädt: Wir möchten mehr Projekte in ländlichen Räumen initiieren und überall stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Bündnisse eingehen. Das betrifft vor allem den zeitlichen Rahmen. Wir wollen mehr kurze und intensive Projekte ermöglichen, um möglichst vielen Kindern und Jugendlichen eigene Erfahrungen mit darstellenden Künsten zu ermöglichen. Nicht immer sind langfristige Projekte die beste Möglichkeit. Manchmal ist es so, wie die Analytikerin Charlotte Wolf schreibt: „Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit.“
Martina Kessel: Das Bespielen der ländlichen Regionen ist für den Tanz eine besondere Herausforderung. Aber trotzdem wollen wir in dieser Förderphase versuchen, dort mehr Projekte zu fördern. Da das nicht im luftleeren Raum entstehen kann, sind wir froh, dass wir an das Netzwerk „Tanz weit draußen“ anknüpfen können.
Jennifer Köhler: Wir möchten die Antragstellerinnen und Antragsteller dazu ermutigen, ihre Projekte inklusiv und barrierearm zu gestalten. Sie sollen sich nicht davor scheuen, dass eine Übersetzung in Deutscher Gebärdensprache oder eine Fremdsprache mitgeplant wird, sofern dadurch mehr Kindern und Jugendlichen der Zugang zu kultureller Bildung ermöglicht wird. Darüber hinaus planen wir, den Projekten einen Verhaltenskodex für die Projektarbeit zur Verfügung zu stellen, um Beteiligte für Diskriminierung zu sensibilisieren.
Nora Friedrich: In der dritten Förderphase bieten wir vom Bühnenverband sogenannte „Add-Ons“ an, die bei der Antragstellung hinzugebucht und durch die mehr Projekte realisiert werden können. Diese Add-Ons gibt es für vier verschiedene Bereiche: inklusive Projekte, Projekte im ländlichen Raum, digitale Projekte und Angebote zur Einbeziehung der Eltern.
Eva Stöhr: Als neuer Programmpartner in „Kultur macht stark“ wünschen wir uns, dass unser Förderprogramm GLOBAL VILLAGE KIDS gut angenommen wird und wir viele spannende partizipative und künstlerisch-innovative Projekte fördern und begleiten können.
Was wünschen Sie sich in der Zusammenarbeit mit den Bündnissen und eingebundenen Projekt- und Netzwerkpartnern für die dritte Förderphase?
Eckhard Mittelstädt: Wir wünschen uns von allen Bündnispartnern, dass sie auf lokaler Ebene gut zusammenarbeiten, die Erfahrungen mit anderen Akteurinnen und Akteuren teilen und Netzwerke für gute Projekte entwickeln. Wir wünschen uns außerdem, den fruchtbaren Austausch zu Projekten fortzusetzen, den wir in der Pandemie mit unseren „digitalen Stammtischen“ begonnen haben. Und natürlich freuen wir uns auch auf den Liveaustausch mit den Akteurinnen und Akteuren auf den Fachtagen.
Eva Stöhr: Wir hoffen auf interessante Bündniskonstellationen und stabile Zusammenarbeiten, sodass gute kreativ-künstlerische Arbeit für Kinder und Jugendliche geleistet werden kann.
Martina Kessel: Eigentlich bleiben nach zwei Förderphasen wenig Wünsche offen. Die Zusammenarbeit mit den Bündnissen ist sehr positiv. Perspektivisch wünsche ich mir für alle Beteiligten noch mehr Nachhaltigkeit. Viele Bündnisse leisten tolle Arbeit und hätten eine Verstetigung ihrer Angebote verdient. Eine solche Aussicht würde die Zusammenarbeit in der dritten Phase erneut beflügeln.