Die Stärke der Kunst nutzen
Bei „Dagesh on Tour“, dem „Kultur macht stark“-Angebot von DialoguePerspectives e.V., setzen sich Jugendliche durch kreative und biografische Arbeit mit dem Judentum auseinander und lernen dabei viel über sich selbst.
„Was mich besonders beeindruckt hat, ist die positive Energie, die die Jugendlichen ausstrahlen und die Freude, wenn sie ihre eigenen Ideen entwickeln und einen künstlerischen Ausdruck dafür finden,“ erzählt Sonia Knop, die Anfang dieses Jahres an der Gustav-Heinemann-Gesamtschule in Alsdorf einen dreitägigen Workshop zum Thema Judentum betreute. „Dagesh on Tour“ geht darüber hinaus Wissen zu vermitteln oder abzufragen. „Es soll vielmehr gezeigt werden, wie vielfältig das Judentum gelebt werden kann“, erläutert die Künstlerin den Ansatz des Bildungsangebots. Unterstützt wurde sie von der Bildungsreferentin Sofiya Usach. Die Kombination aus künstlerischer und pädagogischer Anleitung gehört zum Konzept von „Dagesh on Tour“, dem „Kultur macht stark“-Angebot von Dagesh – Jüdische Kunst im Kontext unter dem Verein DialoguePerspectives. Der Workshop an der Gustav Heinemann Gesamtschule wurde im Rahmen einer Projektwoche zum Thema „Antisemitismus und zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust“ durchgeführt und von einer Sozialarbeiterin sowie von Lehrkräften der Schule begleitet.
Identität, Glaube und Persönlichkeit
Der jüdische Glaube ist in Sonia Knops Familie tief verwurzelt. Ihre Eltern migrierten als sogenannte Kontingentflüchtlinge Ende der 1990er-Jahre nach Deutschland. Im Workshop stellte sie Teile ihrer künstlerischen Arbeit (Malerei und Video) vor und erklärte, welche Bedeutung ihre jüdische Identität in ihrer Kunst und ihrem Leben hat. Sie selbst fühlt sich eher einer Ethnie verbunden als einem religiösen Glauben und war überrascht über die Offenheit der Schülerinnen und Schüler: „Vorbehalte gegenüber dem Judentum oder Klischeevorstellungen sind mir so gut wie gar nicht begegnet.“ Um mehr über die Persönlichkeit der Teilnehmenden zu erfahren, wurden in der Vorstellungsrunde alle dazu aufgefordert ein Wappen zu zeichnen, das ihrem Wesen entspricht. Neben Initialen oder Emblemen von Sportvereinen wurden häufig Tiere ausgewählt, wie beispielsweise der Löwe als Symbol der Stärke.
Biografisches Schreiben und Verknüpfungspunkte zum jüdischen Leben
Ein anderer Programmpunkt war das biografische Schreiben. Anhand des Tagebuchs von Anne Frank tauschten sich die Schülerinnen und Schüler – viele mit Migrationshintergrund –darüber aus, wie das Schreiben dabei helfen kann, Erlebtes zu verarbeiten. Sonia Knop hat besonders berührt, als eine Schülerin, die den Krieg in Syrien miterlebt hat, davon erzählte, dass sie das Tagebuch von Anne Frank gelesen und daraufhin selbst begonnen habe Tagebuch zu führen. Neben Fragen zum Judentum diskutierten die Jugendlichen darüber, was Moral für sie bedeutet, wie sie mit Konflikten umgehen und welchen Platz sie in der Gesellschaft haben. Schreibübungen mit Anleitungen wie „Schreibe auf, woran Du vor dem Schlafengehen gedacht hast“ oder „Benenne, was Du in der Welt gerne ändern würdest“ dienten dazu, verschiedene Facetten des eigenen Lebens und Zusammenlebens zu reflektieren. „Die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen oder aus sich heraus etwas zu ändern – mit diesem Gedanken beschäftigten sich einige zum ersten Mal“, so die Beobachtung der Künstlerin.
Künstlerische Freiheit beim Videodreh
Die Räume für den Workshop sowie die gesamte Ausstattung und Technik stellte der Bündnispartner ABBBA e.V. (sozio-kulturelles Zentrum) zur Verfügung. „Das lief alles unkompliziert und hat prima funktioniert. Auch der Austausch mit den Lehrkräften, die ihre Schülerinnen und Schüler teilweise von einer anderen Seite kennengelernt haben, war bereichernd“, berichtet Sonia Knop. Beim abschließenden Videodreh bestand die Aufgabe darin, innerhalb von zwei Stunden einen zweiminütigen Film zu produzieren. Die Jugendlichen erhielten eine Einweisung in den Videodreh und die Schnitttechnik sowie Tipps, worauf sie achten sollten. In der Gestaltung waren die Jugendlichen vollkommen frei – die einzige Bedingung war, dass eine Postkarte integriert werden musste. Es wurden bewusst keine narrativen Regeln vorgegeben. „Wie die Schülerinnen und Schüler die Mittel der Abstraktion für sich genutzt und gleichzeitig die Disziplin mitgebracht haben, das in der kurzen Zeit zu erledigen, war schon erstaunlich.“
Partizipativer Raum außerhalb der Schule
„Dagesh on Tour“ ist ein Programm, mit dem DialoguePerspectives e.V. / Dagesh – Jüdische Kunst im Kontext als neuer Programmpartner der dritten Förderphase von „Kultur macht stark“ bundesweit lokale Bündnisse intiiert. Ziel ist es, „Räume für Dissens“ zu schaffen, in denen jede und jeder sich mitteilen kann. „Wir passen das Programm immer an die jeweilige Situation an und stimmen uns mit den Bündnispartnern vor Ort ab“, erzählt Sonia Knop. Am „Kultur macht stark“-Projekt in Alsdorf waren neben „Dagesh on Tour“ die Gustav Heinemann Gesamtschule und ABBBA e.V. beteiligt. Neben Tagesworkshops können Bündnispartner auch offene Kurse oder Projektwochen sowie Ferienworkshops im Rahmen von „Dagesh on Tour“ gemeinsam erarbeiten. „Ich glaube das Besondere an „Dagesh on Tour“ ist, dass Jugendliche die Möglichkeit bekommen, sich außerhalb irgendeines Wertesystems auszudrücken“, lautet Sonia Knops Erklärung für das durchweg positive Feedback – sowohl von den Jugendlichen als auch von den Lehrkräften.