Selbstermächtigung auf der Baustelle
„Handwerk ist Jungensache?“ – von wegen – dachten sich die Teilnehmenden des Feriencamps „Typisch Mädchen“ und bauten eine Chillecke auf der „Insel“ Schlowe. Ziel war es, Mädchen zu bestärken und sie für Gender-Stereotype zu sensibilisieren.
Dass nicht nur Jungs handwerklich begabt sein können, das konnte das „Kultur macht stark“- geförderte Sommercamp „Typisch Mädchen“ beweisen: Denn, um eine Chillecke im Ferienlager in Schlowe in Mecklenburg-Vorpommern handwerklich umzusetzen, haben sich 19 Mädchen und Transpersonen im Alter von neun bis 15 Jahren ordentlich ins Zeug gelegt und dafür zu Hammer, Bohrmaschine, Säge und Nähmaschine gegriffen. Zusammengeschlossen hatten sich für das Ferienprojekt der Rostocker Eltern- und Familienbildungsverein Charisma e.V., das Erlebnis-Kollektiv e.V. in Rostock und der Verein Jugend, Kultur und Bildungsarbeit (JKBBS) e.V. in Berlin und Schlowe. Zu den Zielen des Projektes gehörte, die Teilnehmenden für Gender-Stereotype zu sensibilisieren und sie in ihren Kinderrechten zu bestärken. In diesem Sommer sind zwei weitere Camps geplant – diesmal auch eines für Jungen und ebenfalls wieder eines für Mädchen.
Mädchen lernen von Frauen
„Es war uns wichtig für das knapp einwöchige Projekt, dass Mädchen von Frauen handwerkliches Geschick erlernen und nicht von Männern, weil Letzteres eher dem Erwartbaren entspricht“, sagt Erlebnispädagogin Greta Pohl, die gemeinsam mit Theaterpädagogin Simone Burkhardt sowie Tischlerin und Erzieherin Bianka Assmann im Sommer 2021 das Feriencamp geleitet hat.
Ort des Geschehens war die „Insel“ Schlowe, die der JKBBS betreibt, eine 3,2 Hektar große Ferienanlage, die am Kleinpritzer See liegt und sich als Zufluchts- und Erholungsort versteht. „Der perfekte Ort also, um dort etwas zu schaffen und zu bauen“, sagt Greta Pohl vom Erlebnis-Kollektiv e.V.
Vertrauensvolle Zusammenarbeit der Bündnisse
Während der Verein für die Projektorganisation – sprich für die Idee des Mädchen-Camps sowie dessen Umsetzung und Begleitung – verantwortlich war, hat der JKBBS den Ort für das Projekt, nämlich die „Insel“ Schlowe gestellt. Der Bündnispartner hat sich zudem um Baumaterial gekümmert und sich in die Konzeption des Bauprojekts eingeklinkt. Der dritte Bündnispartner, der Charisma e.V., war wiederum für die Teilnehmenden-Akquise im Rostocker Nordwesten zuständig, wo er laut Erlebnis-Kollektiv-Projektleiter Robin Czarnecki ein gutes Netzwerk hat. „Aus diesem Teil Rostocks kommen auch die meisten Kinder und Jugendlichen im Projekt“, sagt Robin Czarnecki. In den dortigen Stadtteilen Evershagen, Toitenwinkel und Dierkow leben viele Familien in Plattenbauten und haben oft einen erschwerten Zugang zu kultureller Bildung.
Kreative Eigeninitiative
„Die 19 Teilnehmenden durften gleich zu Beginn des Camps ihre eigenen Ideen für eine Chillecke einbringen und darauf aufbauend legten wir los“, erzählt Greta Pohl. Das Einzige, das laut Greta Pohl gesetzt war, war der Bau einer Unterkonstruktion für den Rahmen des Daches. „Besonders Spaß gemacht hat es den Kindern und Jugendlichen, sich eigene Möbel auszudenken.“ Alte, auf der Ferienanlage vorgefundene Möbel, konnten upgecycelt werden – aus einem alten Bett entstand ein neues Sofa. Außerdem war der Bau von Fußhockern sehr beliebt.
Auseinandersetzung mit kritischen Themen
Doch es wurde nicht nur gebaut: Die Projektleiterinnen näherten sich immer mal wieder dem Thema Gender im Tagesgeschehen an. „Wir haben uns zum Beispiel mit Geschlechterstereotypen in den Medien beschäftigt und Fragen gestellt.“ Zum Beispiel: „Typisch Mädchen, typisch Junge – gibt es das eigentlich?“, „Fühle ich mich mit den mir zugeschriebenen vermeintlich weiblichen Eigenschaften wohl?“ und „Sind auch Berufe an das Geschlecht gekoppelt?“. Daraus entspannen sich dann lebhafte Diskussionen.
Selbstermächtigung durch Bauprojekt
Die Teilnehmenden seien darüber hinaus schon mit sehr vielen eigenen Erfahrungen und Gefühlen zum Thema Gender und Body-Shaming in das Ferienprojekt gekommen. Eine neunjährige Teilnehmerin habe sich beispielweise geschämt, einen Badeanzug anzuziehen, weil sie sich darin zu dick gefühlt habe. „Über solche Gefühle haben wir dann in der Gruppe oder zu zweit gesprochen“, erzählt Greta Pohl. Zudem sei die sexuelle Orientierung ein sehr präsentes Thema gewesen. „Eine Teilnehmerin wollte sich viel mit mir darüber unterhalten, dass sie lesbisch sei“, gibt Greta Pohl ein konkretes Beispiel.
Vor allem habe das Bauprojekt den Teilnehmenden mehr Selbstbewusstsein geben können. „Denn, wenn ich sehe, dass ich etwas schaffe, ohne dass mich jemand auf mein Aussehen reduziert oder mir sagt, dass ich das nicht kann, ist das sehr emanzipierend“, sagt die Erlebnispädagogin abschließend.