Kreative Willkommenskultur
Ein inklusiver Spieltreff für Vorschulkinder, Aikido-Training Open Air, mit Musik Brücken bauen und junge Talente entdecken – vielfältige Angebote der kulturellen Bildung stärken auch die aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen.
Nicht erst in der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie kreativ, flexibel und bedarfsorientiert die Bündnispartner in „Kultur macht stark“ in den Projekten agieren. Auch unmittelbar nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, als vor allem Frauen mit ihren Kindern in europäische Länder flüchteten, haben die Programm- und Bündnispartner von „Kultur macht stark“ rasch reagiert und viel Engagement gezeigt, um passende Angebote schnell auf den Weg zu bringen. „Wir haben dabei auch von der vereinfachten Antragstellung und kürzeren Fristen profitiert“, sagt Anna-Lu Masch, Choreografin und Mitbegründerin des Vereins „Bad Honnef tanzt“ in Nordrhein-Westfalen.
Ferienprojekt mit Tanz, Aikido und Graffiti in Unkel
„Wir sind hier im ländlichen, kleinstädtischen Raum und es ist uns gelungen, einen Kulturschwerpunkt zu bilden. Wir haben gute Zugänge zu den Kids, arbeiten seit Jahren mit Schulen zusammen, bieten außerunterrichtliche Aktivitäten“, berichtet Anna-Lu Masch. Zusammen im Bündnis mit dem Sportverein TV Eiche Bad Honnef und dem interkulturellen Verein „Gemeinsam für Vielfalt“ in rheinland-pfälzischen Ort Unkel wurde eine Aktion mit vielen kreativen Angeboten in den Osterferien geplant. „Wir finden es super, dass ,Kultur macht stark‘ länderübergreifende Projekte ermöglicht“, sagt die Choreografin.
Die Ferienaktion fand in einem längst geschlossenen Freibad statt. „Ein wunderbarer Ort mit ,Lost Places‘-Charme“, beschreibt Anna-Lu Masch. Der Partnerverein in Unkel gestaltete ihn ehrenamtlich um, verwandelte ihn in einen „Bürgerpark“. In dem weitläufigen Parkgelände gibt es gemeinschaftliche Beete, er ist eine grüne Oase für alle geworden – vor allem für die Menschen in Unkel, die keinen eigenen Garten haben. In dem ehemaligen Schwimmbad wurde eine Ferienaktion geplant, die etwas urbanes Flair in die ländliche Gegend bringen sollte: Graffiti-Kunst für die tristen Bauten und Becken, Open-Air-Trainingsmöglichkeiten für Hip-Hop und die friedliche japanische Kampfkunst Aikido. „Die ehemaligen Duschen sind überdacht, aber man ist im Freien. Dort haben wir Matten vom Bündnispartner TV Eiche Bad Honnef bekommen und konnten eine Open-Air-Trainingshalle einrichten. Das war vor den Osterferien und mit den damals hohen Coronazahlen ein Thema“, berichtet Anna-Lu Masch. Geplant wurde die Ferienaktion für 15 Kinder und Jugendliche.
Als direkt gegenüber dem „Bürgerpark“ eine Notunterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine eingerichtet wurde, hat das Team um die Choreografin seine Kapazitäten erweitert. „Wir sind direkt in die Unterkunft gegangen und haben die Kinder und Jugendlichen persönlich abgeholt, es war also klar, dass wir für mehr Beteiligte mehr Betreuung benötigten“, schildert Anna-Lu Masch. Am Ende haben 35 Kinder und Jugendliche, aufgeteilt in drei Altersgruppen, mitgemacht. Sie konnten nach Lust und Laune testen, ob sie Aikido trainieren wollten, sich lieber im zeitgenössischen Tanz oder im Hip-Hop ausprobieren oder Graffiti sprayen wollten. Ein Hip-Hop-Lehrer aus Essen kam unterstützend hinzu, dazu drei ehrenamtlich tätige Jugendliche aus einer Montessorischule in Bad Honnef. Eine Ukrainerin, die ebenfalls erst vor kurzem nach Deutschland geflüchtet war, aber zuvor in Kiew eine deutsche Schule besucht hatte, half als Übersetzerin. Viele Eltern der Kinder aus Unkel engagierten sich ebenfalls ehrenamtlich, so kochte etwa eine Mutter türkische Speisen, die gemeinsam verzehrt wurden. In all dem Trubel ist es sogar gelungen, donnerstags einen Film zu drehen, der freitags zum Abschluss gezeigt wurde.
Hamburger Chorprojekt mit geflüchteten Kindern
Wie der Verein in Unkel, hat auch Stephanie Balke Erfahrung in der Arbeit mit Geflüchteten. Die Gesangspädagogin betreibt eine soziale, mobile Musikschule und ist als Honorarkraft am Hamburger Konservatorium, einem der drei Bündnispartner, tätig. Stephanie Balke versteht Musik als Mutmacher, ermöglicht insbesondere Kindern und Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen Zugang zur Musik – und damit zu ihren Emotionen. Bereits 2015 hat sie mit Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und Nigeria gearbeitet. Seit dieser Zeit ist sie bestens vernetzt mit Schulen und Kindergärten in Hamburg. Das Hamburger Konservatorium arbeitet außerdem schon länger mit dem Zukunftsmusik Hamburg e.V. zusammen, der zusätzlich zum regulären Musikunterricht außerschulische Einzelförderung für viele Schülerinnen und Schüler anbietet, die einen erschwerten Zugang zu Bildung haben. Der Verein ist sehr gut vernetzt mit den Schulen und weiß, wo Förderbedarf herrscht. Der dritte Bündnispartner war die Schule Eichtalpark im bevölkerungsreichsten Hamburger Stadtteil Wandsbek, die als Brennpunktschule gilt. Anfang März wurden hier Internationale Vorbereitungsklassen (IVK) eingerichtet, in denen geflüchtete Kinder und Jugendliche Deutsch lernen und auf das deutsche Schulsystem vorbereitet werden. Stephanie Balke kommt einmal in der Woche, singt und musiziert außerhalb des Unterrichts mit den Kindern und Jugendlichen.
Die Musik baut Brücken, bietet ihre eigene Art der Kommunikation. „Wir singen deutsche Lieder, um die Sprachkompetenz zu verbessern. Das können Kinderlieder sein wie ,Der Kuckuck und der Esel‘ oder auch deutsche Popsongs wie etwa ,Bitte gib mir nur ein Wort‘ der Band ,Wir sind Helden‘. Beim Singen entsteht ein Gespür für die Sprache, wir können Vokale kurz oder lang betonen. Gleichzeitig kann man mit den Liedern auch Themen angehen, die die Kinder beschäftigen, das Thema Streit etwa, wie beim Kuckuck und dem Esel. Aus der Beschäftigung mit der Musik entwickeln wir weitere künstlerische Aktivitäten, wie etwa ein Schattentheater ergänzend zum Lied ,Die Gedanken sind frei‘“, berichtet die Musikerin. Sie hat bereits vielversprechende Talente unter den ukrainischen Kindern entdeckt, ein Junge spielt außerordentlich gut Schlagzeug, ein Mädchen spielt ausgezeichnet Gitarre. Stephanie Balke hat beobachtet, dass die Kinder die deutsche Sprache „unglaublich schnell“ lernen. „Die meisten sind motiviert und voller Inbrunst bei der Sache“, sagt die Gesangspädagogin.
Spiel- und Lerntreff für Vorschulkinder in Unterfranken
Starke Motivation und großen Einsatz erlebt auch Susanne Bartsch von der Diakonie in Schweinfurt: „Es ist etwas ganz Besonderes, was die ehrenamtlichen Mitarbeitenden in Gochsheim auf die Beine stellen, und das mehrfach in der Woche.“ In der unterfränkischen Gemeinde nehmen dienstags und donnerstags sechs Kinder aus der Ukraine an einem Spiel- und Lesetreff teil, freitags kommt ein Junge aus Afghanistan hinzu. Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Gemeindebücherei bringen bereits Erfahrung mit aus dem örtlichen Leseclub, sie gestalten den Treff, der begeistert von den Kindern angenommen wird. Die Diakonie unterstützt bei der Organisation. Für den Spiel- und Lerntreff kann das Jugendheim der Kirchengemeinde genutzt werden. Zudem hilft die Gemeinde, sie zahlt etwa die Reinigung der Räume. Die ehrenamtlichen Kräfte freuen sich auch, dass mindestens zwei ukrainische Mütter regelmäßig dabei sind. Eine begleitet ihr körperlich eingeschränktes Kind, eine andere Mutter unterstützt bei der Beschäftigung der Kinder und ist da, wenn Übersetzung nötig ist. „Das ist gut fürs Miteinander unter den Eltern“, sagt Susanne Bartsch. „Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist uns wichtig. Wir sehen zu, immer im Gespräch zu bleiben und erzählen, was wir gemacht haben. Die Eltern sind ausdrücklich eingeladen, dabei zu sein.“ Nicht nur die Eltern sind dankbar, dass ihre Kinder Deutsch lernen können und gefördert werden, auch die Grundschule schätzt die Arbeit im Spiel- und Lerntreff – schließlich erleichtern gute Sprachkenntnisse den Schuleintritt im September.
Die Kinder kommen gerne zum Spiel- und Lerntreff, sie sind mit Leidenschaft dabei. Ähnlich wie in einer Kita gibt es Rituale zur Begrüßung und Verabschiedung, Lern- und Spielphasen und auch besondere Aktionen. Vor Kurzem wurden Sonnenblumen gesät und nach einigen Wochen in den Garten gepflanzt. Die Kinder spielen viel, legen Farben oder bauen eine Murmelbahn auf. Es gibt viele Bücher, etwa über Pflanzen und Tiere. „Die Kinder kamen mit Null Deutschkenntnissen, inzwischen verstehen sie recht gut und das Sprechen bahnt sich an. Das ist wichtig, denn die Kinder fühlen sich deprimiert, wenn sie sich nicht verständlich machen können“, sagt Susanne Bartsch. Zum Glück ist diese Phase überwunden.