„In Zukunft noch bessere Netzwerke knüpfen“
Ab 2023 beginnt die dritte Förderphase von „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“. Zukünftig soll verstärkt auf bestimmte Entwicklungsthemen eingegangen werden. Im Interview: vier Expertinnen und Experten.
Die vier Entwicklungsthemen der dritten Förderphase lauten: die Integration in den Ganztag an Schulen, die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung, ein Fokus auf den ländlichen Raum und die Vernetzung innerhalb der kommunalen Bildungsstrukturen. Zu diesen vier Themen haben wir vier Expertinnen und Experten aus den Bündnissen von „Kultur macht stark“ befragt: Björn Lengwenus, Leiter der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg in Hamburg, Sabine Michels von der Stabsstelle Bildung und Ehrenamt im Bildungsmanagement der Stadtverwaltung Kaiserslautern, Dr. Tillmann Lohse vom Kulturprojekt Stadtinsel Havelberg e. V. und Danilo Roth, Sozialarbeiter beim Klang Keller e.V., einem Bündnispartner der Stiftung Digitale Spielekultur.
Seit der Corona-Pandemie haben viele Akteure der kulturellen Bildung kreative Wege gefunden, Projekte auch digital durchzuführen. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie hier für digitale oder hybride Formate?
Danilo Roth: Digitale Formate sind häufig niedrigschwelliger und einfacher zu besuchen als klassische Präsenzangebote. Oftmals bewegen sich die Pädagoginnen und Pädagogen in Bereichen, in denen die Kinder und Jugendlichen mehr Expertise haben. Auf diese Art und Weise ist ein Lernen auf Augenhöhe möglich. Die Reichweite der Angebote wird stark erhöht und ist nicht mehr nur auf die Einrichtung, den Stadtteil, die Stadt, oder gar Landesgrenzen beschränkt. Herausforderungen sind zum einen die technische Ausstattung und Expertise der Angebotsdurchführenden, aber vor allem die Ausstattung der Kinder und Jugendlichen. Menschen aus finanziell und sozial schwächer gestellten Haushalten bleibt das Recht auf Teilhabe oftmals aufgrund der mangelnden Ausstattung verwehrt. Ausbaubedarf sehe ich in der Barrierefreiheit der Angebote für Menschen mit körperlichen, geistigen oder sprachbedingten Beeinträchtigungen. Ich persönlich war zu keinem Zeitpunkt meiner beruflichen Laufbahn besser vernetzt und im Kontakt mit anderen Akteuren der Bildungsarbeit als in den letzten Jahren.
Sabine Michels: Beispiele aus dieser Zeit zeigen: Wenn ein reales Treffen nicht möglich ist, sei es aus pandemischen oder anderen Gründen, ist es wunderbar, digitale Alternativen anbieten zu können. Kinder und Jugendliche wachsen selbstverständlich mit digitalen Optionen auf, sie wechseln virtuos und intuitiv von der digitalen zur realen Kontaktversion. Es sollte daher auch selbstverständlich sein, dass kulturelle Angebote für Kinder und Jugendliche dies mit nachvollziehen.
Björn Lengwenus: Das jugendliche Leben findet zu einem großen Teil digital statt. Durch die Pandemie sind wir zum Mitspieler auf diesem Feld geworden – das war in der Fläche vorher gar nicht denkbar. Man kann coole Projekte machen und erreicht ganz viele junge Menschen. Per Knopfdruck kann ich alle Schülerinnen und Schüler der Schule erreichen. Aber da beginnt das Problem: Wenn ich nur den Knopfdruck mache und die Botschaft passt nicht zum Medium, kann ich auch einen Aushang machen. Man muss extrem kreativ bleiben, damit digital funktioniert.
Wie können etwa Apps und Games zu einem solchen kreativen Mehr an kultureller Bildung beitragen, Herr Roth?
Danilo Roth: Computerspiele und Medien sind ein wesentlicher, wenn nicht der größte, Teil der (heutigen) Jugendkultur. Sie sind bereits Kulturgut. Somit ist eine intensive, reflektierte und vertiefende Beschäftigung mit dem Medium auch eine Form der kulturellen Bildung. Videospiele sind zudem Bindeglied zahlreicher anderer Kulturbereiche wie etwa dem Zeichnen, Illustrieren, Musik komponieren, Geschichten schreiben. Zudem kann in der Bildungsarbeit mit Spielen, analoge wie digitale, Zugang zu anderen Themen der Gesellschaft, zum Beispiel Politik, geschaffen werden, ohne dabei verschult zu wirken.
Wie haben Sie den „Digitalisierungsschub“ während der Corona-Pandemie erlebt?
Danilo Roth: In verschiedenen Stadien: Zunächst einmal heillose Überforderung, vor allem erwachsener Menschen, außerdem eine enorme Methoden- und Toolsvielfalt. Im Verlauf der Pandemie entwickelte sich an vielen Stellen eine stärkere Vernetzung und ein intensiver Austausch auch über den „lokalen“ Tellerrand hinaus. Viele Projektverantwortliche zeigten eine hohe Kreativität bei der Gestaltung und Entwicklung neuer Angebote, Formate und Projektideen. Die Pandemie hat uns auch deutlich die sozialen Ungleichheiten vor Augen geführt und die Notwendigkeit der Modernisierung der Ausstattung von Schulen und jugendrelevanten Einrichtungen. Jetzt nach den vielen Einschränkungen der vergangenen Jahre merken wir eine starke Sehnsucht nach direktem und persönlichem Kontakt und Austausch.
Wo sehen Sie die Grenzen digitaler Angebote?
Danilo Roth: Ich sehe viele Vorteile und Chancen in der Digitalisierung und Modernisierung der Jugend- und Bildungsarbeit. Jedoch halte ich eine rein digitale Arbeit in dem Bereich für nicht umsetzbar. Zum einen, weil nicht alle Menschen Zugang haben, haben können. Zum anderen, weil das Direkte, Persönliche, Menschliche einen nicht zu vernachlässigenden Teil unserer Arbeit mit jungen Menschen darstellt. Ebenfalls wichtig sind haptisches, greifbares, und direktes Erfahrbarmachen der eigenen Umwelt und Selbstwirksamkeit, welches im rein digitalen Bereich nur schwer machbar ist. Der administrative und verwaltungstechnische Bereich ist ebenfalls nicht zu unterschätzen und wird leider oftmals nicht mitgedacht.
Dr. Tillmann Lohse: Aus den genannten Gründen sind digitale Formate auch für uns eher eine Notlösung, außer vielleicht bei Schreibwerkstätten, die einen Schwerpunkt auf virtuelle Kooperation legen.
Professorin Andrea Tober, die neue Juryvorsitzende der 3. Programmphase von „Kultur macht stark“, betont: „Wir brauchen einen starken Schulort, einen dritten Raum neben der Familie und dem formalen Schulunterricht, in dem die Kinder sich freiwillig und mit Spaß bewegen und Neues kennenlernen können. Das ist eine Riesenchance für den Ganztag.“ Wie müssen Ihrer Meinung nach außerschulische Angebote der kulturellen Bildung im Ganztag vernetzt und eingebunden sein?
Danilo Roth: Ich würde hier gerne ein wenig differenzieren, wenn es um diesen dritten Raum neben Familie und formalem Schulunterricht geht, den Frau Tober anspricht. Wir müssen hier den Bereich der informellen Bildung mitdenken, beispielsweise in Sportvereinen, Jugendzentren, Soziokulturellen Zentren, der Straße oder dem Bolzplatz. Wenn es Schule schafft, diese Orte mit in ihren Alltag zu integrieren und von ihnen zu lernen, zum Beispiel durch Angebote, Kooperationen, Projekttage und -wochen, Ausflüge oder Formate im Ganztagsbereich, bereichert das mit Sicherheit den Bildungsraum für junge Menschen erheblich.
Sabine Michels: Wichtig ist wohl vor allem, mit einer guten Kommunikation zu beginnen. Die pädagogischen Kräfte der Schule(n), die Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, die Anbietenden kultureller Bildung und natürlich die Jugendlichen selbst sollten an einen Tisch kommen und sondieren, welche Bedarfe seitens der Schülerinnen und Schüler vorliegen, welche kulturellen Angebote möglich und realistisch umsetzbar sind und wie der Rahmen des schulischen Alltags gesteckt ist. In Kaiserslautern geschah solch ein Zusammenkommen mittlerweile zweimal durch die Workshops „Kultur für alle“ 2019 und 2022. Schulische Lehrkräfte und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen tauschten sich bei den Workshops mit Kunstschaffenden und Lehrkräften der städtischen Kultureinrichtungen aus und legten dar, wie der Alltag in den verschiedenen Einrichtungen aussieht, was die Bedarfe sind. Aus diesen Workshops ergaben sich beide Male gute Kontakte und später auch Projekte.
Tillmann Lohse: Viel mehr Kommunen sollten wie in Kaiserslautern die Initiative ergreifen, um Kräfte zu bündeln.
Herr Lengwenus, eine Frage an Sie als Schulleiter: Wie können die Angebote aus „Kultur macht stark“-Projekten an Schulen zu einem ganzheitlichen Bildungsziel beitragen?
Björn Lengwenus: Meine pädagogische Vision ist es, Schulen zu guten Orten zu machen. Damit dies gelingt, muss man das afrikanische Sprichwort „Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“ beherzigen. Mithilfe der „Kultur macht stark“-Projekte werden Angebote geschaffen, die gute Orte entstehen lassen: gemeinsam zu singen, zu spielen, zu tanzen, gemeinsam Dinge zu erleben und ohne Notendruck das Leben zu feiern. Das sind doch herrliche Booster für einen freudvollen (Gesamt-)Schulalltag. Wir alle sind das Dorf, wir alle müssen Schulen zu guten Orten machen.
Was sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche und nachhaltige Zusammenarbeit von Schulen mit außerschulischen kulturellen Partnern?
Björn Lengwenus: Ich vermeide ja gerne das oft zitierte: ,Die Partner müssen auf Augenhöhe miteinander umgehen‘. Natürlich! Mit wem sollte man nicht auf Augenhöhe kommunizieren? Vielmehr muss man den Partner und seine Ideen verstehen. Meist hat man unterschiedliche Historien und Ansätze. Ich glaube, man kann mit den unterschiedlichsten Partnern tolle Projekte machen, aber man muss es auch wirklich wollen: zusammensetzen, besprechen, planen, machen, feiern!
Haben Sie in den letzten Jahren eine Veränderung gemerkt an Ihrer Schule durch „Kultur macht stark“-Projekte?
Björn Lengwenus: Natürlich. Diese umfangreichen Angebote könnten wir allein nie leisten. Gerade im künstlerischen Bereich bringen „Kultur macht stark“-Projekte so viele Professionen und so viele Expertisen in den Schulalltag. Schüler und Schülerinnen sind in so vielen Fächern fremdbestimmt. Die Kunst und die Kultur lassen Schülerinnen und Schüler atmen, sie schaffen Erlebnisse und wunderbare Momente. Das wirkt sich selbstverständlich positiv auf unseren sonstigen schulischen Alltag aus.
Herr Dr. Lohse, Havelberg in Sachsen-Anhalt hat etwas über 6.000 Einwohner und Einwohnerinnen. Welche Herausforderungen ergeben sich in Ihrer Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen aufgrund der ländlichen Lage?
Dr. Tillmann Lohse: Zum Beispiel: Sehr weite Wege. Wir haben Jugendliche, die jede Woche 50 Kilometer fahren, um an unseren Kursen teilnehmen zu können, weil es ihre einzige Chance ist, überhaupt kulturelle Bildung zu erleben. Das sind vielleicht zunächst einmal nur Einzelschicksale. Aber es zeigt doch exemplarisch, was für Zustände in Kommunen herrschen, die die soziokulturelle Daseinsvorsorge komplett der finanziellen Konsolidierung unterordnen sollen.
Wie lösen Sie diese Herausforderungen?
Dr. Tillmann Lohse: Mit zivilgesellschaftlichem Engagement. Gerade, wenn es um Kinder und Jugendliche geht, ist die Bereitschaft zu helfen zum Glück sehr groß.
Was leisten die Bündnisse für Bildung hier?
Dr. Tillmann Lohse: Die Bündnisse für Bildung sind ein hervorragender Katalysator für lokale Kooperationen. Bei uns im Elb-Havel-Winkel entsteht durch sie endlich wieder eine lokale Zivilgesellschaft. So wird das honorierte, aber auch das ehrenamtliche Engagement für kulturelle Bildung nicht nur effektiver, sondern auch attraktiver.
Danilo Roth: Die finanziellen Mittel sind bei ländlichen und kleinen Kommunen oftmals leider nicht gegeben oder stehen nicht unbedingt der kulturellen Bildungsarbeit zur Verfügung. Programme wie „Kultur macht stark“ können hier einen erheblichen Teil dazu beitragen, in diesen Gegenden Motor und Anschub zu sein.
Welche Rolle spielen Vernetzung innerhalb der Kommune und Ehrenamt bei Ihrer Arbeit?
Dr. Tillmann Lohse: Vernetzung ist sehr wichtig, aber sie gelingt nicht immer auf Anhieb. Die Kommunalverwaltung hat uns zum Beispiel von Anfang an voller Überzeugung unterstützt. Viel schwieriger gestaltete sich dagegen die Kooperation mit den öffentlichen Schulen. Die sind personell teilweise so unterbesetzt, dass die wenigen vorhandenen Lehrkräfte oft andere Sorgen haben, als sich mit irgendwem zu vernetzen.
Lebendige Bildungslandschaften entstehen nur bei einer guten Vernetzung der Akteure. Welche kommunalen Strukturen müssen dabei gut eingebunden werden?
Sabine Michels: Die Stabsstelle Bildung und Ehrenamt in Kaiserslautern ist Teil der Stadtverwaltung. Wird eine Idee, ein Bedarf an uns herangetragen, treten wir mit den Kolleginnen und Kollegen im Haus in Kontakt. Es bestehen gute, stabile Verbindungen, beispielsweise zum Jugendamt, dem Kulturamt, dem Schulamt und je nach Bedarf zu weiteren Ämtern wie der Stadtentwicklung oder zu unserem Integrationsbeauftragten. So kann schnell eruiert werden, welche Unterstützung für ein Projekt wir im Haus finden oder welche kritischen Blickwinkel seitens der Kolleginnen und Kollegen erwartet werden können. Zu den Trägern in der Kommune halten wir ebenfalls kontinuierlich Kontakt und wir sind regelmäßig in Netzwerken aktiv. Die „Jugendkulturmeile“, der auch die Stabsstelle angehört, ist beispielsweise ein Verbund der pädagogischen Abteilungen der Kulturhäuser der Stadt, die bereits seit Längerem gut vernetzt sind, in regelmäßigem Austausch stehen und auch gemeinsame Projekte auf die Beine stellen. Aber wir finden unsere Partner auch bei Wirtschaftsverbänden oder bei der Handwerkskammer.
Wie gelingt eine gute und nachhaltige Vernetzung im Sozialraum der Kinder und Jugendlichen?
Sabine Michels: Besonders für den ersten Kontakt zu einer Einrichtung ist in jedem Fall das persönliche Gespräch unabdingbar. Wissen, wie es dort aussieht, wie die Dynamiken des Hauses sind und die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen, ist elementar, damit mit den Lehrenden bzw. Pädagogen des Hauses ein Projekt entwickelt werden kann, das auch realistisch umsetzbar ist.
Dr. Tillmann Lohse: In einer kleinen Stadt funktioniert das vor allem über persönliche Kontakte: zu Eltern, Großeltern, Nachbarn.
Wie können kommunale und kulturelle Akteure noch besser zusammenwirken, um mehr Bildungschancen zu schaffen? Was sind Ihre Erfahrungen dazu in den Bündnissen für Bildung?
Sabine Michels: Wie bereits geschildert, halten wir eine gute Kommunikation im eigenen Haus und mit der kommunalen Landschaft für elementar. Außerdem ist Öffentlichkeitsarbeit wichtig: Neben der Pressearbeit berichten wir in politischen Ausschüssen, wir sind aktiv in den Netzen der Stadt unterwegs. Bei der aktiven Umsetzung ist wichtig, dass ein Kulturprojekt von dem pädagogischen Team der Einrichtung nicht als Mehrbelastung erachtet wird. Schön ist, wenn ein Projekt zum Ende von allen, auch den begleitenden Personen, als bereichernd betrachtet wird.
Was kann daraus (langfristig) entstehen?
Sabine Michels: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bei dem „Kultur macht stark“-Projekt „Kunstreisen zur Natur“ erhielten wir das Feedback, dass die Grundschullehrerinnen und -lehrer sowie die Teams aus den Kitas sich wünschten, selbst einmal die Elemente des Kurses kennenzulernen, um sie in ihren eigenen Alltag mit den Kindern installieren zu können. So organisierten wir von der Stabsstelle Bildung und Ehrenamt nach Ende des Projektes einen zweitägigen Workshop für sie, an dem sogar überregional Interesse bestand. Vielleicht ist dies ein gutes Ziel, dass Module der kulturellen Bildung wie selbstverständlich in den Alltag von Kita-Kindern und Schülerinnen und Schülern integriert werden.
Frau Michels, Ihre Schwerpunktthemen sind Ehrenamt und Bildung. Welche Rolle spielt das ehrenamtliche Engagement in Ihrer Stadt beim Thema kulturelle Bildung?
Sabine Michels: Ehrenamtliches Engagement in ein Projekt der kulturellen Bildung zu integrieren bietet die große Chance, ganz unterschiedliche Menschen mit in das Projekt zu verweben, sie zu beteiligen, von ihren Ideen und ihrem Elan zu profitieren. Ehrenamt bedeutet, dass Menschen mit Lust an diesem Tun dabei sind, was einem Projekt viel Schwung bringen kann. Es bedarf dabei stets eines sorgsamen Matchings, ob die individuellen Vorstellungen und Wünsche der ehrenamtlich tätigen Person zum Projekt und zu den in das Projekt involvierten Menschen passen.