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Eine kollektive Verantwortung

Professorin Andrea Tober, die neue Juryvorsitzende der 3. Programmphase von „Kultur macht stark“, im Interview.

Sehr geehrte Frau Prof. Tober, in der Jury begleiten Sie seit 2013 gemeinsam mit anderen Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis der kulturellen Bildung das Programm. Sie wählen die Programmpartner aus und bewerten die Umsetzung ihrer Konzepte. Seit diesem Jahr haben Sie den Vorsitz des Expertengremiums inne. Im März 2022 wird die Jury die Programmpartner für die nächste Förderphase ausgewählt haben. Wie gehen Sie dabei vor? Worauf haben Sie besonders geachtet?

Wir haben zunächst die Projektskizzen erhalten, die wir sichten und anhand derer wir einordnen, ob wir das Konzept als plausibel erachten. Die formalen Förderkriterien wurden vorab vom BMBF überprüft, sodass unsere Aufgabe darin besteht, auf eine inhaltliche Vielfalt bei der Zusammenstellung der Programmpartner zu achten, und zu überprüfen, ob der Einsatz der Mittel effizient ist und das Programm eine entsprechende Reichweite hat. Die Konzepte müssen uns natürlich auch künstlerisch und pädagogisch überzeugen. In der Gesamtschau muss es eine gute Balance geben zwischen Ballungsgebieten und dem ländlichen Raum. Und wir brauchen auch Partner, die eine gute Wirkung im schulischen Bereich erzielen können. Im Unterschied zu den früheren Förderperioden, wird „Kultur macht stark“ nun auch gezielt im Ganztagsschulbetrieb angesiedelt sein: non-formal und außerschulisch, das heißt außerhalb von Unterricht und Bewertung, aber eben in Schulen. Hier treffen wir unsere Zielgruppe, hier wollen wir präsent sein. Ein wichtiger Faktor bei unseren Programmpartnern ist auch, dass sie die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln, dass sie Expertise mitbringen für bestimmte Altersgruppen und Kulturformen.

Insgesamt ist es ein großer Katalog, mit dem wir auf die ganzen Anträge schauen. Wir haben auch im Blick, ob wir bereits gut zusammengearbeitet haben – denn „Kultur mach stark“ soll auch nachhaltige Netzwerke schaffen. Zusätzlich müssen wir aktuelle Bedarfe und Schwerpunkte im Blick haben.


„Kultur macht stark“ geht in eine dritte Förderphase von 2023 bis 2027. Was sind Ihre Pläne und Herausforderungen als Juryvorsitzende?

Tatsächlich ist es eines meiner Ziele, all die genannten Aspekte gut im Blick zu behalten und eine ausgewogene Auswahl zu treffen. Außerdem möchte ich auch eine Balance schaffen bei Diskussionen innerhalb der Jury. Unsere Mitglieder kommen aus unterschiedlichen Bereichen und bringen unterschiedliche „Brillen“ mit. Dieser Perspektivwechsel interessiert mich wahnsinnig und ist sehr spannend bei jeder Sitzung. Ich finde es sehr wertvoll, den eigenen Blick zu hinterfragen und möchte eine Atmosphäre von Offenheit und Transparenz, in der sich alle wertgeschätzt und gehört fühlen. Das zu moderieren ist mein Job. Ich finde es wichtig, dass das, was wir als Jury tun, eine Ausstrahlungskraft hat in Gesellschaft und Politik. Indem wir bestimmte Partner auswählen, können wir einen Scheinwerfer bewegen auf bestimmte Themen – und das macht unser Handeln politisch wertvoll. Außerdem wollen wir deutlich machen, welche Rolle Kunst und Kultur und die Auseinandersetzung damit in der Gesellschaft spielen muss – auch vor dem Hintergrund, dass beides in der Pandemie zum Teil als „nicht systemrelevant“ bewertet wurde. Das hinterlässt Spuren.


Was sind die Ziele des Programms in der dritten Förderphase? Und welche Herausforderungen sehen Sie?

Unter Pandemiebedingungen fand das Kultur- und Sozialleben aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen zum Beispiel an der Schule nur eingeschränkt statt. Und selbst die Umsetzung des Unterrichts unter den Lockdown-Bedingungen in Online-Formaten hat die soziale Schere deutlich sichtbar werden lassen. Viele Kinder und Jugendlichen hatten keine Arbeitsmittel zur Verfügung wie etwa ein stabiles WLAN oder Laptops und wenig Unterstützung beim Homeschooling. Die sowieso schon mangelnde Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit wurden in der Pandemie verschärft. Umso wichtiger ist es, dass wir den ‚Lebensort Schule‘ unterstützen und aktiv werden mit „Kultur macht stark“ – auch, um soziales Miteinander wieder möglich zu machen. Wir brauchen einen starken Schulort, einen dritten Raum neben der Familie und dem formalen Schulunterricht, in dem die Kinder sich freiwillig und mit Spaß bewegen und Neues kennenlernen können. Das ist eine Riesenchance für den Ganztag: dass die Kinder hier aufarbeiten können, was sie erlebt haben. Dass sie einander begegnen, inter-agieren und produktiv sind. Diesen Ort können wir mit „Kultur macht stark“ gut unterstützen.

Mobilisierung im ländlichen Raum ist nach wie vor ein Riesenthema: „Kunst und Kultur“ ist ein kollektives Vorhaben. Wir müssen wieder Gemeinschaftlichkeit herstellen und Akteure in den Kommunen (re)aktivieren. Zum Beispiel das gemeinsame Singen in Chören, die in der Pandemie kaum stattgefunden haben. „Kultur macht stark“ kann Impulse geben und Mut machen zu einem Re-Start, den wir dringend gemeinsam brauchen.

Auch die Digitalisierung ist ein umfassendes Thema, mit dem wir uns bei „Kultur macht stark“ befassen. Digitale Medien waren in den vergangenen Monaten oft wie eine Nabelschnur zur Welt – vor allem für die Jugendlichen. Schulen haben sich verändert, neue Lehrformate und Arten der Zusammenarbeit entwickelt. Vieles von dem, was die Pandemie an Digitalisierung befördert hat, wird bleiben. Die Frage ist nur wie! Deswegen ist eine kritische Mediennutzung und die Entwicklung von Medienkompetenz sehr wichtig. Die Kinder und Jugendlichen dürfen Medien nicht als eine gegebene Instanz betrachten, die über Social Media in ihre Welt schwappt, sondern als eine Konstruktion von Wirklichkeit, die kritisch hinterfragt werden muss und nicht nur blind konsumiert werden darf.


Worin liegen für Sie die größten Erfolge des Förderprogramms „Kultur macht stark“?

Ein Riesenerfolg ist, dass es das Programm schon seit 2013 gibt – jenseits aller parteipolitischen Veränderungen. Dass es gelungen ist, so stabile und nachhaltige Strukturen zu schaffen, Netzwerke von Akteuren in ganz Deutschland, die sich für gerechtere Chancen einsetzen, freut mich persönlich sehr. Außerdem ist es bemerkenswert, wie dieses Programm gelernt hat und wie unsere Partner gelernt haben, miteinander umzugehen und immer besser zu werden. Der Wissenstransfer zum Beispiel ist mit eine der größten Herausforderungen: Wie gelingt es, aus den gemachten Erfahrungen zu lernen und das in veränderte Strukturen zu bringen? Wie kann es gelingen, Veränderungsprozesse zu implementieren und dranzubleiben? Ein wichtiges Erfolgsrezept von „Kultur macht stark“ ist die kollektive Verantwortung der Bündnisse in Verbindung mit ehrenamtlichem Engagement. Das brauchen wir mehr als je zuvor: Die Förderung von Gemeinschaft als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir alle haben es in der Hand, zu gestalten, wie wir zusammenleben wollen, und die jüngeren Generationen mit ‚an Bord‘ zu holen. Die künstlerisch-kreative Auseinandersetzung sehe ich dabei auch als das Üben von Demokratie.


Sie sind Prorektorin und Beauftragte für Digitale Transformation sowie Professorin für Selfmanagement und Musikvermittlung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und leiteten die Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker. Was kann speziell die Auseinandersetzung mit Musik und musikalischer Bildung bei der Zielgruppe von „Kultur macht stark“ bewirken?

Musik ist die einzige Sprache, die überall auf der Welt verstanden wird. Selbst wenn ich keine Kenntnisse habe über Kompositionstechniken oder musiktheoretische oder historische Aspekte, vermitteln sich Emotionen, die Menschen erreichen. Musik hat eine verbindende Kraft: Wir teilen den Augenblick, wenn wir Musik machen oder hören. Sie ist zugleich individueller Ausdruck und Gemeinschaft stiftend. Musik ermöglicht Kreativität, schult die Wahrnehmung von sich und anderen. Dabei können Regeln des Miteinanders vermittelt werden, die wichtig sind, wenn man als Gruppe zusammenzukommt. Man muss verhandeln, um als Gruppe zu funktionieren und erlebt sich als selbstwirksam: jeder Einzelne macht einen Unterschied! All das sind auch wichtige Fähigkeiten und Erfahrungen für die Zielgruppe von „Kultur macht stark“, um schulische und soziale Entwicklung zu fördern und Teilhabe zu ermöglichen.

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Prof. Andrea Tober wurde 1972 in Herford geboren. Sie studierte Musik und Querflöte sowie Germanistik im Lehramt in Essen und Hannover, unterrichtete an Schulen und Musikschulen und initiierte zahlreiche künstlerische Projekte mit Chören, Orchestern und Kammermusikensembles. Heute ist sie Prorektorin und Beauftragte für Digitale Transformation sowie Professorin für Selfmanagement und Musikvermittlung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. 2012 bis Herbst 2020 leitete sie die Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker. Seit 2013 ist sie Mitglied der Jury von „Kultur macht stark“, deren Leitung sie 2022 übernommen hat.