Eine Insel in Neukölln
Die Sorge um den Planeten mit Blick auf das Alltagsthema Müll haben Schülerinnen und Schüler der Berliner Hans-Fallada-Gesamtschule auf kreative Art und Weise aufgegriffen. Das Ergebnis war ein 25-minütiger Film.
„Unser selbst entwickeltes Theaterstück, welches wir zum Film umgewandelt haben, ist eine Mischung aus dem Disney-Film ,Vaiana‘ und klassischen Detektivgeschichten“, beschreibt Schauspielerin und Projektleiterin Ulrike Düregger das Ergebnis des Projekts „Die Müll-Detektiv*innen“. Insgesamt ein Jahr lang, aufgeteilt in zwei Projektmodule mit jeweils einer Laufzeit von sechs Monaten, haben daran 17 Schülerinnen und Schüler der Hans-Fallada-Gesamtschule in Berlin Neukölln gemeinsam mit Ulrike Düregger und Nadine da Cruz Oliveira vom bildungspolitischen Verein Total Plural e.V. gearbeitet. Der Berliner Verein setzt sich für Projekte und Veranstaltungen mit künstlerischem und kulturellem Hintergrund ein, deren Ziel es ist bikulturelle und marginalisierte Menschen einzubeziehen. Pädagogische Unterstützung kam von einem sozialpädagogischen Bündnispartner, dem Verein tandem BTL, der sich unter anderem in der Kindertagesbetreuung und der Schulsozialarbeit engagiert.
Disney-Film und Detektivgeschichten als Aufhänger für Film
Im Film „Vaiana“ möchte die Heldin herausfinden, warum ihre Insel Motonui in Polynesien nicht mehr so glanzvoll und grün ist wie einst und ihr Volk im nahegelegenen Riff keine Fische mehr finden kann. So ähnlich geht es auch den Mülldetektiv*innen in ihrem Filmprojekt. Am Anfang befinden sie sich in einer fiktiven Zeit vor der Umweltverschmutzung – damals haben sie noch einen sauberen Schifffahrtskanal und eine idyllische Umgebung in Berlin kennengelernt. Doch dann landen sie durch eine Zeitkapsel in der heutigen Umgebung, in der sie viel vermeidbaren Müll auf den Straßen vorfinden. Ein Zustand, den die Mülldetetiv*innen nicht akzeptieren wollten, weshalb sie es sich zur Aufgabe machen, ihren Stadtteil Neukölln vom Müll zu befreien. Und auch wenn der Kiez mitunter weniger einladend wirken mag als das Disney-Inselparadies – fühlen sich die Kinder ihrer Heimat doch verbunden. Sie finden auch hier ihre „Inseln“ wie Spielplätze oder eben den Bereich am Schifffahrtskanal. Das macht der Einstieg des Films deutlich – hier geben die Kinder in kurzen Sprachsequenzen preis, warum sie sich gerne draußen in der Natur aufhalten.
Gekonnt Begeisterung für BNE schüren
Die Schauspielerin und Projektleiterin Ulrike Düregger weiß, wie man die Kinder der vierten bis sechsten Klasse für Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) begeistert: „Jedenfalls nicht, indem man einfach sagt, kommt, lasst uns mal die Straßen vom Müll befreien. Das Ziel war, dass es einen spannenden und kreativen Rahmen gibt, an den die Mädchen und Jungen anknüpfen können.“ Die Gruppe hat sich einmal die Woche getroffen, gemeinsam wurden Krimi-Geschichten gehört und „Vaiana“ angeschaut. „Wir haben gemeinsam besprochen, was einen Krimi ausmacht. Die Übungen dazu sind in unser Theaterstück eingeflossen.“ Coronabedingt musste eine Aufführung leider ausfallen. Entstanden ist deswegen der Mülldetektiv*innen-Film, der den Eltern, Freunden und Geschwistern gezeigt wurde. „Ein fertiges Produkt macht die Teilnehmenden total stolz“, erzählt die Projektleiterin. Außerdem helfe genau dieses fertige Produkt, auch weitere Schüler und Schülerinnen der Hans-Fallada-Gesamtschule für ein ähnliches Projekt zu begeistern.
Lernen, am Ball zu bleiben
Die Kontinuität der Treffen ist für die gebürtige Österreicherin mit das Wichtigste am Projekt: „Es ist entscheidend, dass Kinder in dem Alter lernen, bei einer Sache zu bleiben – ein Hobby haben, das ihnen Freude bereitet.“ Die Mülldetektiv*innen haben fast alle eine Migrationsgeschichte. Sie stammen aus der Sinti-und-Roma-Community, aus dem Libanon, sind Arabisch-Deutsch, Afro-Deutsch oder Türkisch-Deutsch. Ein syrischer Junge ist erst vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen. Ein Projekt, in dem alle über so einen langen Zeitraum zusammen sind, hilft, als Gruppe zusammenzuwachsen. Und jeder und jedem Einzelnen hilft es dabei, sich selbst mehr zu vertrauen. Die Mikrofone und die Kameras für die Filmaufnahmen haben die Kinder selbst gehalten und bedient. „Es muss nicht alles immer perfekt sein, es geht um die Selbstermächtigung der Kinder und darum, sie zu begleiten und ihnen zu zeigen, was sie draufhaben“, erklärt Ulrike Düregger. Denn viele hätten solche Bestätigung und Ermunterung sehr nötig, wenn es um die Sichtbarkeit ihrer Talente geht. Auch andere Dinge kommen dann in diesem vertrauten Kreis zur Sprache und können aufgearbeitet werden, wie etwa die rassistischen Erfahrungen eines afro-deutschen Mädchens.
Ausgangspunkt des Projekts war es, Lebenswelten von Berliner Kindern denen des globalen Südens gegenüberzustellen. Das wird in einer Szene im Film deutlich: In einer Frontalaufnahme liegen die Kinder in einer Hängeschaukel mit bunten Kostümen und „fliegen“ auf der Schaukel in ferne Länder. Die Kostüme sowie das gesamte Bühnenbild des Films wurden von den Kindern selbst aus upcycelten Materialen hergestellt. Hilfe erhielten sie dabei von den Recycling-Künstlerinnen Ulla Pfund und Agnes Duda vom Verein Kunststoffe Berlin e.V. Im Film wurde dazu mithilfe von Einblendungen ein Gegensatz geschaffen: Kinder, die in riesigen Müllbergen in Kalkutta in Indien und Accra in Ghana nach Rohstoffen suchen. Die Bilder zeigen, was dort landet: Elektroschrott, „Fast Fashion“ oder auch Spreewald-Gurken-Plastikverpackungen. Gemeinsam versuchen die Kinder im Film herauszufinden, wie so viel Abfall zustande gekommen ist – auch in ihrer eigenen Stadt. Eine Geheimbotschaft, die sie in den Büschen auf dem Spielplatz ihrer Schule finden, zunächst nur ein leeres Blatt Papier, verrät ihnen dazu mehr. Mit einem Feuerzeug entschlüsseln sie die Botschaft, indem sie es vorsichtig unter das Blatt halten. Langsam erscheint eine Schrift: „Ich bin schuld – gezeichnet eure Gier“. „Die Moral der Geschichte ist, dass wir alle am Ende Verantwortung dafür tragen, dass es so viel Abfall gibt, mithilfe der Politik und unserem Engagement aber auch gemeinsam dazu beitragen können, etwas zu ändern“, fasst Ulrike Düregger die Aussage des Films zusammen.