Zwischen Alltag, Tanz und bildender Kunst
Vom Tisch zum Tanzpartner, vom Stuhl zum Kunstwerk: In einem Kasseler Projekt ergründen Acht- bis Elfjährige, wie sich die Möbelstücke künstlerisch verwandeln lassen. Der interdisziplinäre Ansatz fördert die individuellen Talente der Kinder.
Stühle sind zum Sitzen da und Tische, um darauf zu arbeiten oder daran zu essen. So weit, so klar. Dass man mit diesen Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs auch Kunst machen kann, erfahren 14 Kasseler Kinder zwischen acht und elf Jahren im Projekt „Über Tisch und Stuhl mit Tanz und Kunst“. Ein halbes Jahr lang loten sie mit der Choreografin Mirjam Henß vom Tanztheater-Ensemble „henß & kaiser | tanzen schräg“ und der bildenden Künstlerin Katrin Leitner aus, wie sich alte Schultische in kunstvolle Objekte verwandeln oder Stühle betanzen lassen. Das Ensemble hat im Bündnis mit der Grundschule Bossental und dem städtischen Kulturhaus Dock 4 schon mehrfach Projekte im Rahmen von „tanz + theater machen stark“ umgesetzt. Die Projektreihe fördert der Bundesverband Freie Darstellende Künste e.V. als Programmpartner von „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“. „Unsere Erfahrung ist, dass den Kindern die Kombination aus Tanz und bildender Kunst sehr viel Spaß macht“, sagt Choreografin Henß. „Daher haben wir auch das diesjährige Projekt wieder interdisziplinär angelegt.“
Begabungen vertiefen und neue Talente entdecken
Statt jedoch einerseits eine Choreografie und andererseits ein Bühnenbild zu entwickeln, werden die Grenzen zwischen den Genres bewusst aufgelöst. „Wir schauen zum Beispiel, wie sich Bewegungen in Zeichnungen umsetzen lassen oder wie man mit einem Stuhl und dem eigenen Körper eine Skulptur baut“, erklärt Henß. Die Verbindung der zwei Kunstformen ermöglicht es allen teilnehmenden Kindern, ihre Nische zu finden – aber auch, in einem geschützten Rahmen neue Erfahrungen zu machen. „Ein Mädchen tat sich zum Beispiel anfangs sehr schwer mit dem Tanzen. Sie konnten wir aber über das Zeichnen für das Projekt gewinnen“, erzählt Henß. „Mittlerweile bewegt sie sich auch gern und hat viel mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.“ Manche der Teilnehmenden haben dagegen schon Vorerfahrung mit Tanzen und Bewegung. Sie ziehen die anderen Kinder ein Stück weit mit, wie die Choreografin beobachtet. Bei dem wöchentlichen Nachmittagstermin steht mal der Tanz, mal die bildende Kunst im Vordergrund. „Wir gehen dabei auf die Wünsche der Kinder ein und greifen auf, was sie gerade begeistert.“ So entsteht im Laufe des Projekts durch viel Experimentieren eine collagenartige Performance, die nach zwei Intensivtagen Ende Januar vor Eltern und Freunden präsentiert wird.
Raum für vielfältige Lerneffekte
„Die Präsentation ist eine Mutprobe für die Kinder, aus der sie aber gestärkt herausgehen“, berichtet Mirjam Henß. „Es ist schön zu sehen, wie sie sich entwickeln, gerade auch, weil sie es zuhause oft nicht so einfach haben. Sich und anderen zu beweisen, ich kann etwas, das wirkt befreiend.“ Dabei liegt der Künstlerin am Herzen, dass die Teilnehmenden neben den motorischen und gestalterischen Fähigkeiten vor allem ihre sozialen Fähigkeiten vertiefen: etwa sich in der Gruppe zurechtzufinden und aktiv einzubringen, aber sich auch manchmal zurückzunehmen. Dafür braucht es die richtige Mischung aus Regeln und Freiraum. Das hat bisher gut funktioniert – auch dank der pädagogischen Unterstützung durch die Leiterin der Grundschule Bossental. In den kommenden Monaten wird daher kein starrer Plan abgearbeitet, betont Henß: „Wir lassen uns immer wieder gern von den Ideen der Kinder überraschen.“