Wissenstransfer auf allen Ebenen
Kreativ werden mit digitalen Medien: Das ermöglichen die Angebote von app2music e. V., Stiftung Digitale Chancen und Stiftung Digitale Spielekultur. Die Initiativen im Gespräch darüber, welches Wissen durch die Projekte vor Ort weitergegeben wird.
Ihre Initiativen bringen kulturelle Bildung und digitale Medien zusammen. Was möchten Sie mit den Projekten erreichen?
Laura Hänsch: Digitale Medien sind aus dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Deshalb sind sie auch wichtig, wenn es um Teilhabe und Chancengleichheit geht. Bei „Kultur trifft Digital“ lernen Kinder und Jugendliche, wie sie digitale Tools nutzen können, um kreativ zu werden und selbst etwas zu erschaffen. Sie entdecken außerdem, dass digitale Medien den Zugang zu bestehenden Kulturangeboten ermöglichen.
Julian Quack: Mit digitalen Medien, in unserem Fall Musikapps, lässt sich wunderbar das Interesse von Kindern und Jugendlichen wecken, die sonst kaum mit Kulturangeboten in Kontakt kommen. Ein großer Anreiz bei „app2music“ ist, dass die Teilnehmenden oft genau die Musik machen können, die sie selbst gern hören. Sie erfahren so auch mehr darüber, wie die Musik, die sie im Alltag umgibt, eigentlich entsteht.
Niels Boehnke: Bei den Kindern und Jugendlichen gibt es natürlich schon eine digitale Nutzungskompetenz. Gerade bei Spielen geht es aber meist nur darum, unterhalten zu werden. In den Projekten von „Stärker mit Games“ möchten wir Wege von der reinen Konsumhaltung hin zu einer aktiven, aneignenden und reflektierten Mediennutzung zeigen. Das ist auch wichtig für den weiteren Bildungs- und Berufsweg.
Welche Wege der Wissensvermittlung haben sich in den Projekten bewährt?
Laura Hänsch: Sehr gut funktioniert unser „Digitaler Orientierungsparcours“ als Einstieg in jede Workshop-Reihe: Angeleitet von einer medienpädagogischen Fachkraft entdecken die Teilnehmenden unterschiedliche digitale Welten. Danach entscheiden sie gemeinsam, welchen Bereich sie vertiefen möchten, zum Beispiel ob sie einen Trickfilm mit Knetfiguren drehen oder einen Escape Room entwickeln. Die Verbindung von analogen mit digitalen Tätigkeiten und der spielerische Charakter kommen gut an. Auch legen wir mehr Wert auf den Prozess als auf das Endprodukt.
Niels Boehnke: Bei uns steht der Prozess ebenfalls im Mittelpunkt. Aber es ist auch toll, wenn etwas entsteht, was die Teilnehmenden ihren Eltern und Freunden hinterher zeigen können. Dahin zu gelangen, ist allerdings oft kein leichter Weg. Viele der Kinder und Jugendlichen müssen lernen, konzentriert zu bleiben, auch mal zu scheitern und von vorn anzufangen. Unsere Fachkräfte unterstützen sie dabei, zum Beispiel mit kleinen Bewegungsspielen oder Improvisationstheater zwischendurch, um wieder neuen Schwung zu gewinnen.
Julian Quack: Entscheidend ist die Begegnung auf Augenhöhe. Die Musikerinnen und Musiker, die die Projekte leiten, treten nicht als Lehrende auf, sondern sind gleichberechtigte Bandmitglieder. Frontalunterricht und reine Theorievermittlung sind tabu. Wir lassen viel Raum zum Experimentieren mit Apps, aber immer mit einer konkreten Zielsetzung dahinter. Gute Resonanz finden Projekte, die mehrere Kulturbereiche zusammenbringen, etwa Appmusik mit Virtual Reality oder Tanz. Gerade durch letztere Projekte haben wir neue didaktische Ansätze entwickelt, bei denen die Verbindung von Technik, Körper und Bewegung im Vordergrund steht. Neben der Klangsteuerung mit großen Armbewegungen über im Tablet verbaute Sensoren sind etwa Gruppenspiele möglich, bei denen die Teilnehmenden sich mit dem Tablet im Raum bewegen oder den eigenen Körper als Spieloberfläche nutzen. Als zeitgemäßes Medium der Vermittlung entwickeln und nutzen wir zudem YouTube-Tutorials.
Welches Wissen und welche Erfahrungen nehmen die Kinder und Jugendlichen nach Projektende mit hinein in ihre Alltagswelten?
Laura Hänsch: Die Kinder und Jugendlichen erfahren Selbstwirksamkeit, stärken ihre Problemlösekompetenz und ihre Teamfähigkeit. Dass wir Lust auf mehr machen, bestätigte uns zum Beispiel eine Einrichtung, mit der wir ein Projekt zur Verwirklichung eigener Spielideen umgesetzt haben. Zwei Monate später tüfteln die Kinder dort weiter an ihren Ideen.
Julian Quack: Selbstwirksamkeit ist ein guter Begriff! Außerdem laufen beim gemeinsamen Musizieren und Musik entwickeln feine soziale Prozesse ab. Die Teilnehmenden trainieren ihre Kompromissbereitschaft, sie lernen aufeinander achtzugeben. Auch das emotionale Erleben von Musik prägt nachhaltig. Und sie lernen Smartphones und Tablets als kreative Instrumente kennen, die sie dank vieler kostenloser Apps auch nach Projektende weiter nutzen können.
Niels Boehnke: Viele Teilnehmende starten mit der Aussage „Ich kann eh nichts“ ins Projekt, stellen aber nach ein paar Tagen fest, dass sie doch etwas können. Klar verwandeln sich die Kinder und Jugendlichen nicht innerhalb einer Woche, aber einen Samen können wir säen. Das zeigen auch Rückmeldungen von Eltern, die zum Beispiel fragen, wann das nächste Camp stattfindet oder wo eine genutzte Software erhältlich ist.
Wie gut können Sie generell auch die Eltern über die Projekte erreichen?
Niels Boehnke: Zum Teil ist das möglich, es hängt jedoch stark vom familiären Hintergrund der Teilnehmenden ab. Ab einem bestimmten Alter ist es auch normal, sich von den Eltern abgrenzen zu wollen. Wir bieten aber an, einen Elternabend zu Medienfragen durchzuführen, was mal mehr, mal weniger gut angenommen wird. Zudem erhalten interessierte Eltern bei Abschlusspräsentationen die Gelegenheit, sich die Projektergebnisse anzuschauen.
Laura Hänsch: Den Bündnispartnern vor Ort stellen wir Flyer unserer Stiftung zum Thema Medienerziehung zur Verfügung, die sie an Eltern weitergeben können. Wir erhalten aber oft die Rückmeldung von unseren Partnern, dass sich zum Beispiel eine Jugendeinrichtung als elternfreier Raum versteht, in dem sich die Kinder und Jugendlichen ausleben können. Das respektieren wir und verzichten dann auf eine bewusste Einbindung.
Julian Quack: Der Transfer ins Elternhaus ist für uns auch dann gelungen, wenn die Teilnehmenden zuhause selbst begeistert berichten oder über das Projekt hinaus Lust am Musizieren mit Apps gewinnen. Darüber hinaus laden wir die Teilnehmenden samt ihren Eltern zum Beispiel zum Besuch einer Vorstellung in dem Theater oder Opernhaus ein, das Teil eines lokalen Bündnisses ist.
Zum Stichwort Bündnisse: Welches Wissen geben Sie an Ihre Partner vor Ort weiter?
Julian Quack: Mittlerweile gibt es in vielen Partnereinrichtungen, etwa in Jugendzentren, bereits Tablets, aber die Mitarbeitenden wissen nicht, wie sie diese für Musikangebote einsetzen können. Im Projekt erfahren sie, wie man didaktisch mit Musikapps arbeiten kann. Die Kultureinrichtungen erweitern wiederum ihr konzeptionelles Wissen, was technisches Know-how und die Verbindung von klassischen Angeboten mit digitalen Medien betrifft.
Laura Hänsch: Bei uns ist das ähnlich. Es geht darum, die Partner erst einmal für den kreativen Umgang mit digitalen Medien aufzuschließen. Wir bieten ihnen Anregungen und Ideen, was über passiven Konsum hinaus möglich ist. Die Partner erfahren auch mehr über einen reflektierten und kritischen Umgang mit Medien, worauf also zum Beispiel eine soziale Einrichtung bei den Kindern und Jugendlichen in dieser Hinsicht achten sollte.
Niels Boehnke: Viele unserer Partner vor Ort gewinnen erstmals eine Vorstellung davon, dass man mit Games auch über Ethikfragen und Kultur reflektieren kann. Für viele ist das ein unbekanntes Terrain. Wir versuchen auch, das Wissen vor Ort zu festigen, etwa über engagierte Ehrenamtliche. Das heißt aber nicht, dass die Partner nach unserem Projekt das nächste allein durchführen könnten. Es braucht die technische Ausrüstung und die Anleitung durch die Fachkräfte.
Wie finden Sie geeignete Workshop-Leiterinnen und -Leiter? Und inwiefern fördern Sie auch den Wissens- und Erfahrungsaustausch untereinander?
Niels Boehnke: Die Dozentinnen und Dozenten, die unsere Projekte betreuen, haben ganz unterschiedliche Hintergründe – vom Game Designer bis zur medien- und sozialpädagogischen Fachkraft. Wir prüfen im Vorfeld sehr genau, ob sich Interessierte für eine Mitarbeit in der Initiative eignen. Für Inspiration und Austausch zum pädagogischen Einsatz von Spielen verweisen wir auch gern auf die Plattform „Digitale Spielewelten“, die von der Stiftung Digitale Spielekultur gemeinsam mit der Technischen Universität Köln entwickelt wurde.
Laura Hänsch: Wir arbeiten unter anderem mit vielen Medienpädagoginnen und -pädagogen zusammen, die wir bereits aus anderen Projekten unserer Stiftung kennen. Zwecks Qualitätssicherung laden wir alle Fachkräfte einmal im Jahr nach Berlin ein. Da besprechen wir, was gut läuft, wo man nachjustieren kann und welche Projektideen noch interessant wären. Für den inhaltlichen Austausch nutzen wir zusätzlich ein Online-Portal.
Julian Quack: Bisher gibt es wenige Fachkräfte für Appmusik. Wir konnten aber eine Reihe technikaffiner Musikerinnen und Musiker gewinnen. An Standorten, an denen erstmals Projekte starten, stellen wir Technik und Projektideen in einem Einstiegsworkshop vor. Feedback holen wir im Gespräch kontinuierlich ein. Wir haben auch eine digitale Plattform eingerichtet, über die sich Dozentinnen, Dozenten und Bündnispartner vernetzen und austauschen können. Und: Einmal jährlich veranstalten wir Fachtage, die allen Projektbeteiligten und Interessierten eine Austauschplattform zu den Möglichkeiten appmusikalischer Bildungsprojekte bieten.