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Vorlesen ist Ehrensache – auch für den Bürgermeister

In der ländlichen Gemeinde Bessenbach ist Männer-Power gefragt: Als Vorleser bei der Aktion „Wir sind LeseHelden“ engagieren sich prominente Mitglieder des Orts und inspirieren Kindergartenkinder die Welt der Bücher zu entdecken.

Kommt sie am Kindergarten vorbei und die Kinder spielen im Freien, wird sie lauthals begrüßt. „Hallo Frau Stadtbücherei“, heißt es dann. Den Namen von Karen Hepp haben die Kinder sich nicht gemerkt, aber dass sie die Herrin der Bücher ist, wissen sie ganz genau. Karen Hepp leitet ehrenamtlich die Katholische Öffentliche Bücherei der Pfarrei im Ortsteil Oberbessenbach der Gemeinde Bessenbach in der Nähe von Aschaffenburg. Sie hat bereits zum zweiten Mal die Aktion „Wir sind LeseHelden“ initiiert. Bündnispartner ist der Kindergarten St. Ottilia, aus dessen Gruppen die beteiligten Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren stammen. Vorwiegend sind es die Vorschulkinder, die dabei sind. „Einige von ihnen bekommen durch die LeseHelden zum ersten Mal mit, dass wir im Ort eine Bücherei haben und dass sie dort willkommen sind“, berichtet Karen Hepp. „Da sind Kinder dabei, die würden wahrscheinlich ohne das Projekt kein Buch in die Hand bekommen. Umso wichtiger ist es uns, diesen Kindern diese Chancen zu ermöglichen.“

Ehrenamt sichert den Erhalt der Bücherei

Karen Hepp selbst hatte das Glück, in ihrer Kindheit die Welt der Bücher zu entdecken. Bis heute sind Bücher für die Verwaltungsangestellte wie ein Lebenselixier. „Diese Freude möchte ich weitergeben“, sagt sie. Das ist bei ihren eigenen beiden Kindern gelungen, durch die damals der Kontakt zur Katholisch Öffentlichen Bücherei Oberbessenbach entstanden ist – vor gut zwanzig Jahren. Die vormalige Leiterin der Bücherei sprach Karen Hepp an, ob sie nicht ehrenamtlich mitarbeiten möchte. Als dann vor fünf Jahren die damalige Leitung wegzog, stand der Erhalt der Bücherei auf der Kippe. Nach Beratungen mit dem Pfarrer, erklärte Karen Hepp sich mit drei weiteren ehrenamtlichen Kräften dazu bereit, die Arbeit fortzuführen. „Ansonsten wäre die Bücherei aus dem Ort verschwunden, das wollten wir nicht.“ Das Team bildete sich fort und modernisierte einiges. Auf einer der Fortbildungen entstand der Kontakt zum Borromäusverein e.V., dem Dachverband der Katholischen Öffentlichen Büchereien (KÖB) in Deutschland außerhalb Bayerns. Die Idee der Leseförderung durch die „LeseHelden“ leuchtete dem Bücherei-Team in Oberbessenbach sofort ein. Zudem besuchte das Team eine Schulung, in der vermittelt wurde, was für die Durchführung eines Projekts nötig ist, welche Themen und Inhalte man aufgreifen kann oder wie die Eltern in die Projekte eingebunden werden können. 2019 fand das erste Wochenprojekt rund um das Thema „Ritter“ statt.

Von der Geschichte des vorwitzigen „Grolltrolls“ animiert, haben die Kinder Traumfänger gebastelt. Die Naturmaterialien wurden vorab im Wald gesammelt.
Von der Geschichte des vorwitzigen „Grolltrolls“ animiert, haben die Kinder Traumfänger gebastelt. Die Naturmaterialien wurden vorab im Wald gesammelt. © Katholisch Öffentliche Bücherei Oberbessenbach

„Grolltroll“ inspiriert zum Basteln von Traumfängern

Im Herbst 2020 hieß das Motto „Back to Nature“. Im Bewegungsraum des Kindergartens St. Ottilia wurde nicht nur vorgelesen, sondern auch gebastelt. Die Geschichte vom „Grolltroll, der erster sein wollte“, animierte die Kinder zum Basteln von Traumfängern. In zwei kleinen Gruppen besuchten die Kinder dann auch die Katholisch Öffentliche Bücherei. „Es ist immer spannend zu beobachten, wie sie sich umschauen und was ihre Aufmerksamkeit fesselt. Es sind nämlich nicht nur Bilderbücher, wie man vielleicht vermuten würde. Viele Kindergartenkinder greifen auch zu Sachbüchern“, berichtet Karen Hepp. „Schön ist auch, mit welcher Ernsthaftigkeit sie den Ausleihprozess wahrnehmen, wie sorgfältig sie das Rückgabedatum stempeln.“ Gemäß dem Ansatz der „LeseHelden“, der einer Feminisierung der Lesesozialisation entgegenwirken will, da überwiegend Mütter oder weibliche Bezugspersonen in den Kindertageseinrichtungen und Grundschulen vorlesen, kümmerte Karen Hepp sich darum, männliche Vorleser zu gewinnen: Der Pfarrer, der Leiter des Supermarktes, der Gemeindereferent – alle waren gleich dabei.

Durchhalten auch im Regen auf dem Parkplatz

Auch Bürgermeister Christoph Ruppert hat es sich nicht nehmen lassen, die „Geschichte vom Verschwinden der Fische“, ein Abenteuer von Lars, dem Eisbären, vorzulesen. Unter erschwerten Bedingungen, denn Corona-konform musste ins Freie ausgewichen werden. Er las auf dem Parkplatz vor der Bücherei. Selbst als es anfing zu regnen, hielt er sein junges Publikum im Bann der Erzählung, die kindgerecht das Thema Erderwärmung aufgreift. Karen Hepp hatte Christoph Ruppert schon frühzeitig angesprochen und ihn darum gebeten, den „LeseHelden“-Termin in seinem Kalender zu blockieren – noch vor seiner Wahl zum Bürgermeister im vergangenen Jahr. Für ihn ist es „Ehrensache“, dabei zu sein: „Wir sind im ländlichen Raum auf das Engagement von ehrenamtlich Tätigen angewiesen. Sie machen vieles möglich und natürlich will ich selbst mit gutem Beispiel vorangehen.“

Christoph Ruppert hat – wie auch die anderen Vorleser aus dem Ort – seine Teilnahme bei der nächsten „LeseHelden“-Runde bereits zugesagt. Karen Hepp freut sich natürlich, dass die Aktion der „Lesehelden“ solchen Rückhalt im Ortsteil erfährt: „Es ist frappierend, wie nachhaltig der Einsatz der männlichen Vorleser wirkt. Gleich nach der Aktion kam der Anruf der Kita-Leitung, mit der Bitte um Fortsetzung.“ Zudem haben sich die positiven Erfahrungen von St. Ottilia rumgesprochen – auch der Kindergarten St. Wendelinus im Ortsteil Straßbessenbach möchte in diesem Jahr „LeseHelden“ einladen.

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Im Projekt „Wir sind LeseHelden“ gründet der Borromäusverein e. V. gemeinsam mit den Katholischen Öffentlichen Büchereien sowie den Bibliotheken in kommunaler oder freier Trägerschaft und einem weiteren lokalen Bündnispartner deutschlandweit Bündnisse. Ziel der Projekte ist es, die Lesefreude von Kindern im Alter von vier bis zehn Jahren zu wecken und ihre Sprach- und Sozialkompetenz zu verbessern.