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Von der Aussaat bis zur Ernte

Wie füttere ich eine Kuh und wann ist die Kartoffelernte? Antworten auf diese Fragen fanden die Teilnehmenden des Projektes „Ein Jahr auf dem Bauernhof“ in Tübingen. Ein Interview mit Projektleiter Rune Lang.

Herr Lang, wie ist die Idee zum Projekt „Ein Jahr auf dem Bauernhof“ entstanden?

Als Verein für Sozialtherapie e. V. kooperieren wir schon seit Anfang 2018 mit dem Landwirt Thorsten Bock. Wir sind mit Kindern und Jugendlichen aus unseren Angeboten auf seinen Hof gefahren und haben etwa bei der Kartoffelernte geholfen oder beim Pflanzen von Bäumen. Wenn wir dort waren, war es toll, aber es war schwer, die Besuche in den eng getakteten Alltag der Kinder und Jugendlichen zu integrieren. So entstand die Idee, konkrete Projekte direkt auf dem Hof stattfinden zu lassen. Wichtig war uns, den Kindern und Jugendlichen den Zyklus auf einem Bauernhof nahezubringen. Deshalb waren regelmäßige Termine über einen längeren Zeitraum nötig.

Wie sind sie „Ein Jahr auf dem Bauernhof“ angegangen?

Zunächst haben wir als Verein für Sozialtherapie in Tübingen passende Bündnispartner gefunden, und zwar die Grundschule am Hechinger Eck und den Mädchentreff e. V., ein Angebot der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Toll war, dass sehr viele Kinder und Jugendliche der Grundschule und des Mädchentreffs Interesse am Projekt hatten. Los ging es mit einem dreitägigen Projekt in den vergangenen Herbstferien. Im Anschluss sind wir ein halbes Jahr lang an einem Nachmittag in der Woche gemeinsam zum Hof gefahren.

Wie lief das ab?

Das Herbstferienprojekt dauerte drei Tage und die Teilnehmenden haben sich jeweils mit einer Kollegin von mir, einer Sozialarbeiterin, an der Schule getroffen. Gemeinsam ist die Gruppe zum Bahnhof gelaufen und dann zum Bauernhof gefahren. Das Praktische an dem Hof ist nämlich, dass er am Stadtrand direkt an einer Buslinie liegt. Dort haben wir dann den ganzen Tag verbracht, auch gemeinsam gekocht und gegessen. Am Nachmittag ging es auf dem gleichen Weg zurück zur Schule. Wir haben viele positive Rückmeldungen der Eltern bekommen, für die diese verlässliche Betreuung in den Ferien hilfreich war. Während der Schulzeit haben wir es genauso gemacht, jeweils am Freitagnachmittag.

Ein Junge schnitzt auf einer Bank
© Rune Lang

Der Hof ist recht einfach ausgestattet, oder?

Es ist kein Hof, auf dem der Bauer wohnen kann. Zum Beispiel gibt es keinen Warmwasseranschluss und keine Heizung. Wir mussten uns erstmal zwei Räume herrichten und uns im Winter warm anziehen.

Wie war es für die Teilnehmenden, unter diesen Bedingungen am Projekt teilzunehmen?

Manche sind prima damit klargekommen, aber gerade bei den Mädchen im Teenageralter gab es Hemmschwellen, zum Beispiel waren viele oft nicht angemessen angezogen – für die Kälte und so, dass man auch mal schmutzig werden kann.

Auf dem Hof gibt es Äcker, Streuobstwiesen und jede Menge Tiere. Hatten die Teilnehmenden schon Erfahrungen im Umgang mit Tieren?

Der Wissensstand war sehr unterschiedlich. Es gab Teilnehmende, die noch nie eine Kuh aus der Nähe gesehen hatten. Da mussten wir erstmal Informationen weitergeben und Regeln aufstellen: dass Kühe und Pferde auch ausschlagen können, man nicht einfach die Hand hinstreckt und sich vorsichtig nähert. Das ist gerade bei so großen Tieren auch aus Sicherheitsgründen wichtig.

Aber mit der Zeit hat der Umgang geklappt?

Ja, das war sehr schön zu sehen. Ein junges Mädchen, das zu der Zeit noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete gelebt hat, war zunächst sehr schüchtern und auch von den Tieren etwas überwältigt. Als sie eine Weile für die Kühe zuständig war und es dort dann auch junge Kälber gab, ist sie regelrecht aufgeblüht, hat erzählt und richtig mit angepackt.

Aber auch für die anderen Teilnehmenden waren die Tiere ein wichtiger Anziehungspunkt. Eigentlich hatten wir geplant, uns nach der Ankunft immer erstmal zu sammeln und zu besprechen. Aber wir haben schnell festgestellt, dass die Kinder und Jugendlichen zuerst mal die Tiere begrüßen wollten. Darauf haben wir uns dann auch eingestellt.

Was für Aufgaben hatten die Kinder und Jugendlichen auf dem Hof?

Wir haben immer auf den jahreszeitlichen Bezug geachtet. In den Herbstferien haben wir die Tiere auf dem Hof kennengerlernt: Kühe, Pferde und Honigbienen. Am Anfang des Jahres standen die Tiere im Stall im Mittelpunkt. Da kamen auch viele Fragen von den Teilnehmenden und es war gut, den Bauer selbst dabeizuhaben, der alles genau erklären konnte. Für die Kinder und Jugendlichen gab es viel zu tun: Äpfel schneiden, um sie den Kühen zu geben, Pferdeboxen ausmisten, Wasser, Heu und Stroh erneuern.

Wie ging es im Frühjahr weiter?

Im März waren wir auf den Obstwiesen, um Bäume zu beschneiden und neue Bäume zu pflanzen. Das war ein Highlight für die Gruppe. Man musste aber auch vorsichtig sein, damit keine Triebe von den Jungpflanzen abbrechen, die Wurzeln mussten angeschnitten werden, damit sie Wasser aufnehmen können. Im Spätfrühjahr haben alle eigene kleine Saattöpfchen bekommen, um Sonnenblumen zu ziehen. Die durften sie dann mit nach Hause nehmen.   

Wie waren die Eltern eingebunden?

Wir haben am Ende eine Abschlussveranstaltung auf dem Hof gemacht. Da war auch sehr schön zu sehen, dass die Teilnehmenden sich schon richtig zu Hause gefühlt haben. Denn eigentlich wollten wir den Eltern einen Rundgang anbieten. Stattdessen haben die Kinder gleich ihre Eltern geschnappt und sind mit ihnen losgezogen, um ihnen ihre Lieblingsplätze zu zeigen.

Was für ein Resümee ziehen sie nach dem Projekt?

Es war eine wunderbare Möglichkeit, den Kindern den Umgang mit der Natur nahezubringen. Der Hof ist eben auch ein wunderschöner Ort, mit Wald und viel Platz und den Apfelbäumen, unter denen im Sommer die Kühe grasen. Und viele der teilnehmenden Kinder haben bisher noch nicht oft solche Orte besucht. Toll war auch, gemeinsam die Veränderungen zu erleben, die der Hof in den Jahreszeiten erfährt. Ich glaube, dass die Kinder und Jugendlichen sehr viel mitgenommen haben.

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„Ein Jahr auf dem Bauernhof“ ist ein Projekt von „Ich bin HIER! Herkunft – Identität – Entwicklung – Respekt“ des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – Gesamtverband e. V. Ziel der kulturpädagogischen Angebote von „Ich bin HIER!“ ist es, die beteiligten Kinder und Jugendlichen dazu zu befähigen, (wieder) Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben beziehungsweise zu entwickeln. 

Nähere Informationen gibt es auf der Website des Paritätischen Gesamtverbandes.