Poesie aus dem Süßwarenregal
Über das Spiel mit Worten entdecken Kinder und Jugendliche in den Workshops der Friedrich-Bödecker-Kreise ihr kreatives Talent. Im Interview berichtet Autorenpate und Poetry-Slammer Bas Böttcher über diese für alle Seiten bereichernde Erfahrung.
Herr Böttcher, als 23-Jähriger gewannen Sie 1997 die erste deutsche Poetry-Slam-Meisterschaft. Wie haben Sie als junger Mensch diese Welt für sich entdeckt?
Bas Böttcher: Ich bin über den akustischen Sinn zu den Wörtern gekommen, anfangs über das Schreiben von Musiktexten. Für mich ist Sprache etwas sehr Musikalisches und Rhythmisches. Dieser Aspekt war mir bei meinen Auftritten als Poetry-Slammer von Anfang an wichtig und damit habe ich auch ein Stück weit die damals noch sehr junge Szene geprägt. Mittlerweile ist daraus eine riesige Bewegung geworden. Der Blick auf Lyrik hat sich verändert, die gesprochene Lyrik erlebt eine Renaissance. Auf diese Weise werden auch junge Leute erreicht, die erst einmal nicht so gern lesen, aber über den Erzählstoff Zugang dazu finden.
Nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Workshops ermöglichen Sie es jungen Menschen, in die Welt der Worte einzutauchen – so auch als Autorenpate für die Friedrich-Bödecker-Kreise im Rahmen von „Kultur macht stark“. Wie sind Sie zur Vermittlungsarbeit gekommen?
Bas Böttcher: Von der Performance zur Vermittlung ist es im Grunde nur ein kleiner Schritt. Beim Schreiben für die Bühne gehört das Vermitteln zum Handwerk dazu. Ich muss wissen, wie man mit dem Publikum umgeht und wie man Zugänge schafft, indem man die Hörgewohnheiten der Zuhörerschaft bedient und Inhalte aus ihrer Lebenswelt aufgreift. Auch nutzt die Spoken-Word-Kultur sehr unmittelbare Vermittlungsformen: Durch das Live-Erlebnis besteht ein direkter Draht zu den Zuhörenden, der Funke kann überspringen.
Und so können Sie dann in den Workshops auch Kinder und Jugendliche, die bisher wenig Zugang zu Literatur hatten, für das kreative Arbeiten mit Sprache begeistern?
Bas Böttcher: Auch da geht es darum, die Teilnehmenden in ihrer Welt abzuholen. Hört jemand gern Raptexte, dann motiviere ich dazu, selbst einen Songtext zu schreiben. Schaut jemand gern Serien, kann man auch da anknüpfen und überlegen, was macht eine Serie denn aus und wie könnte ein eigenes Drehbuch aussehen. In einer Workshop-Reihe mit dem Friedrich-Bödecker-Kreis Brandenburg, die gerade zu Ende gegangen ist, hatten wir zusätzlich eine Comiczeichnerin und einen Beatboxer zu Gast. Sie haben über Bildsprache und Klänge den Jugendlichen noch einmal andere Zugänge zur Arbeit mit Wörtern ermöglicht.
Sie sind diplomierter Medienentwickler und haben neue Medienformate für Lyrik kreiert. Spielen digitale Elemente auch eine Rolle in Ihren Workshops?
Bas Böttcher: In der Arbeit mit den Teilnehmenden steht das eher an zweiter Stelle. Ich möchte, dass sie die Erfahrung machen, dass sie nicht mehr als ihren Kopf, einen Bleistift und Papier brauchen und die Ideen aus ihnen selbst kommen. Wenn ich digitale Medien einsetze, dann in der Form, dass die Kinder und Jugendlichen diese nicht einfach konsumieren, sondern mitgestalten können. Bei dem Brandenburger Projekt, das wir bedingt durch den Corona-Shutdown online fortsetzen mussten, habe ich zum Beispiel interaktive Schreibübungen programmiert. Die Teilnehmenden konnten sich aus einer Vielzahl an Möglichkeiten selbst ihre Lieblingsübungen zusammenstellen.
Vermitteln Sie auch bestimmte Grundtechniken, etwa beim Reimen?
Bas Böttcher: Ich arbeite mit Texttricks – so nenne ich das, um Schulbegriffe wie Stilmittel zu vermeiden. Eine Technik, die ich erfunden habe, ist zum Beispiel das Mehrfachreim-Tetris: Wie beim Computerspiel sortiert man die Silben als kleine Bausteine. Da reimt sich dann nicht mehr nur „Haus“ auf „Maus“, sondern „Baukomplex Etage 4“ auf „dieses Nagetier“. Eine andere Technik sind Listentexte. Mit Listen, auch aus alltäglichen Begriffen, kann man wunderbar Rhythmus und Überraschungseffekte erzeugen. Wie in dem Liebesgedicht, das drei 14-jährige Mädchen in einem Workshop verfasst haben: „Mars, Lion, Bounty, Kinder-Bon / Duplo, Rittersport, Mr. Tom / Bueno, Hanuta, KitKat und Twix – will ich alles nicht, ich will dich.“
Was nehmen die Teilnehmenden noch aus den Workshops mit? Lässt sich auch eine Entwicklung im Laufe eines Projekts feststellen?
Bas Böttcher: Als konkretes Ergebnis nehmen sie ein in einem Literaturverlag gedrucktes Buch mit ihren Stücken mit. Darin gibt es zudem QR-Codes mit Links auf Audiodateien, so dass die Texte auch nachgehört werden können. Das Buch ist ein Wahnsinns-Erfolgserlebnis und eine tolle Würdigung. Eine Entwicklung beobachte ich vor allem in der Art, sich und ihre Texte zu präsentieren. Ich versuche, ihnen die Angst vorm Sprechen vor anderen zu nehmen, indem wir uns schrittweise steigern: vom Vorlesen einzelner Sätze im Kreis bis hin zum Performen längerer Texte vor der Gruppe. Der Applaus stärkt ihr Selbstvertrauen und sie wagen zunehmend mehr.
Inwiefern greifen Sie korrigierend in die kreativen Prozesse ein?
Bas Böttcher: An erster Stelle steht die Kreativität, nicht die Perfektion. Korrekte Rechtschreibung zu lehren, ist eher Aufgabe der Schule. Auf der Bühne gibt es auch erst einmal keine falsche Schreibung. Im Gegenteil, das gesprochene Wort bietet die Chance, unbefangen an das Schreiben heranzugehen. Da können dann überraschende Doppeldeutigkeiten wie „Fans da“ und „Fenster“ entstehen. Ich achte aber darauf, dass sich keiner vor den anderen lächerlich macht, etwa durch ungewollte, missverständliche Formulierungen.
Was nehmen Sie Ihrerseits aus der Arbeit mit den jungen Menschen mit?
Bas Böttcher: Es ist eine wunderbare Arbeit, denn ich kenne kein kritischeres Publikum als Kinder und Jugendliche. Sie geben oft sofort und ungefiltert eine Rückmeldung. Außerdem lerne ich in den Workshops viele neue Wörter kennen, die dann auch in meine eigenen Texte einfließen. Und die Teilnehmenden fordern mich auch heraus: Einer bat mich zum Beispiel einmal, spontan einen Mehrfachreim auf Baustellenschild zu machen, weil er das gerade draußen sah. Es entsteht so eine tolle Arbeitsatmosphäre auf Augenhöhe.
Was schätzen Sie generell an dem Ansatz von „Kultur macht stark“?
Bas Böttcher: Das Programm zeigt, dass erkannt wurde, welchen entscheidenden Einfluss Kunst und Kultur auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben. Kunst ist keine Zierde oder Deko, sondern elementar für die Persönlichkeitsentwicklung. Künstlerische Intelligenz und Kreativität müssen gefördert werden, gerade in einer Zeit, in der viele Arbeiten automatisiert werden. Letztlich ist es die Kreativität, die uns von Maschinen unterscheidet. Dieser hohe Stellenwert der Kunst wird bei „Kultur macht stark“ gesehen.