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Musikalische Schatzsuche per Smartphone

Musik als Schlüssel zur Integration: Das Bündnis um den Verein MitMachMusik bringt junge Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen. Wie das in Corona-Zeiten klappt, schildert Marie Kogge, Vorstandsmitglied und Leiterin des Potsdamer Standorts.

Frau Kogge, Sie als Projektleitung und Ihr Team mussten im März, als keine persönlichen Treffen mehr möglich waren, neue Ideen entwickeln, wie Sie die am Projekt teilnehmenden Kinder und Jugendlichen bei der Stange halten können.

Marie Kogge: Tatsächlich waren wir anfangs wie vor den Kopf geschlagen, fast verzweifelt. In unserem Team arbeiten Menschen mit Fluchterfahrung und plötzlich mussten wir damit umgehen, dass zum Beispiel eine Sängerin aus dem Iran, die auf einem Heimatbesuch war, Teheran nicht mehr verlassen konnte. Und mit Blick auf unsere Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen war einer der ersten Gedanken, dass unsere Arbeit getragen ist vom Miteinander, von der Zuwendung – und wie sollten wir das virtuell transportieren?

Wie funktioniert die Zusammenarbeit unter normalen Umständen?

Marie Kogge: Der Ansatz des Vereins MitMachMusik ist es, Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung zu ermöglichen, sich die „heilenden“ Kräfte der Musik zunutze zu machen und aktiv am kulturellen Leben teilzuhaben. Manche Kinder lernen Instrumente erstmals kennen. Wenn sie bereits Kenntnisse mitbringen, können sie sie ausbauen im gemeinsamen Zusammenspiel. So lernen sie das Leben in Deutschland kennen, gleichzeitig können sie über die Musik ihre kulturelle Erfahrung einbringen. Wir verstehen Musik dabei als Kulturbrücke: Wir möchten in Deutschland sozialisierte Menschen zusammenzubringen mit Menschen, die Fluchterfahrung haben.

Wer sind Ihre Bündnispartner im „Musik für alle!“-Projekt?

Marie Kogge: Das Begegnungszentrum Oskar, in einem sozialen Brennpunkt Potsdams, das uns unter anderem bisher den Musikraum zur Verfügung gestellt hat. Zudem die Kammerakademie Potsdam, deren Musikerinnen und Musiker uns normalerweise bei Auftritten unterstützen. Unsere Arbeit erreicht nicht nur junge Menschen mit Fluchterfahrung, sondern auch Kinder und Jugendliche in sozial oder finanziell schwierigen Lebenslagen. Über die Musik und die damit verbundene Erfahrung ihrer eigenen Fähigkeiten finden sie einen leichteren Zugang zur Teilhabe in der Gesellschaft. Dabei spielt die Gemeinschaftserfahrung eine wichtige Rolle.

Im März war diese Gemeinschaft dann unterbrochen, die Treffen im Musikraum waren nicht mehr möglich. Wie haben Sie weitergearbeitet?

Marie Kogge: Zum Glück haben die allermeisten Kinder und Jugendlichen ein Smartphone. Weitere technische Ausstattung ist in den Familien kaum vorhanden. Wir merken übrigens auch, dass die sozial gestützten Wohnquartiere schlechter mit Internetverbindungen ausgestattet sind als andere Wohnviertel in Potsdam. Wir haben die Kinder und Jugendlichen über ihre Mobiltelefone erreicht.

Per Anruf? Oder in welcher Form?

Marie Kogge: Ja, unter anderem auch über Anrufe, aber auch in Chat-Gruppen oder über Videokonferenzen. Auch hatte ich die Gelegenheit, gleich zu Anfang der Umstellung an einem Online-Workshop des Tontalente e. V. – einem Verein, der auch bei „Kultur macht stark“ aktiv ist – teilnehmen zu können. Das hat mir sehr geholfen, es wurde schnell klar, was es alles an Möglichkeiten gibt. Wir müssen noch viel fantasievoller sein und noch mehr „out of the box“ denken als sonst, um trotz der physischen Distanz in einen engem Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen stehen zu können.

Beispiel einer musikalischen Rätselaufgabe mit Zeichnungen und Texten
Musikalische Rätselaufgaben für zu Hause © MitMachMusik e. V./Marie Kogge

Und was ist schließlich bei Ihnen möglich geworden?

Marie Kogge: Anfangs haben wir Einzelgespräche geführt, eine Art persönliches Coaching. Dann haben wir musikalische Aktivitäten als Videokonferenzen stattfinden lassen. Mit Instrumenten, aber auch mit Body-Percussion. Zudem haben wir eine musikalische Schatzsuche entwickelt: Wir haben alle paar Tage Challenges, also Rätselaufgaben, per Gruppenchat initiiert. Hierin teilten wir jeweils ein musikalisches Geheimnis – zum Beispiel die Wirkungen von Intervallen – und haben diesen Schatz dann in unseren Repertoirestücken gesucht und entdeckt. So konnte schon Bekanntes zum Klingen gebracht werden, um danach zu einer schöpferischen Aufgabe zum eigenen Umgang mit dem jeweiligen Geheimnis überzugehen.

Uns war es wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen selbst aktiv werden und – statt einer weiteren To-do-Liste zu begegnen – gezielt aus sich heraus etwas entwickeln konnten. Wir möchten nun im nächsten Schritt, wenn die Kontaktbeschränkungen etwas gelockert werden, mit kleineren Gruppen von Kindern, maximal zehn Personen, das Erarbeitete auch wieder live darbieten. Wir würden gern soziale Einrichtungen besuchen, Altenheime oder Heime für Menschen mit Behinderung. 

Hatten Sie generell Auftritte mit den Kindern und Jugendlichen geplant?

Marie Kogge: Wir peilen immer einen nächsten Auftritt als Ziel an. Diese Ziele sind normalerweise klingende Jahresfeste der an unserem Projekt beteiligten Kulturen: die musikalischen Kulturbrücken. Kurz nach dem Shutdown hätten wir eigentlich das persische „Nouruzfest“ zum Anlass genommen, die Eltern der Teilnehmenden hätten die traditionellen Speisen und Rituale gestaltet, wir die Musik. Auch das geplante Zuckerfest am 26. Mai muss ausfallen. Nun planen wir zum 2. Oktober eine Kulturbrücke zum Erntedankfest, die hoffentlich stattfinden kann.

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Mit „Musik für alle!“ ermöglicht der Bundesmusikverband Chor & Orchester e. V. (BMCO) als Programmpartner von „Kultur macht stark“ Kindern und Jugendlichen einen niedrigschwelligen Zugang zu musikalischer Bildung. Gefördert werden außerschulische Projekte, in denen die Teilnehmenden zum Beispiel verschiedene Instrumente kennenlernen, ein Konzert besuchen, im Chor singen, in einem Ensemble musizieren oder gemeinsam ein Musical erarbeiten und aufführen. Für die Umsetzung der Angebote schließen sich mindestens drei lokale Einrichtungen zu einem Bündnis für Bildung zusammen.

Weitere Informationen über „Musik für alle!“ erhalten Sie auf der Website des BMCO.