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Kulturelle Bildung als Innovationsbegleiter

Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) stößt den gesellschaftlichen Wandel an. Prof. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, Direktorin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel, über die impulsgebende Kraft der kulturellen Bildung.

Frau Reinwand-Weiss, uns interessiert, wie sich „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) und kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen miteinander verbinden lassen. Zunächst zur Begriffserläuterung: Was stellen wir uns unter BNE vor?

Vanessa Reinwand-Weiss: Wir können uns an der Definition der UNESCO orientieren. Gemeint ist eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. Sie ermöglicht jedem Einzelnen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen. Entwicklung ist dann nachhaltig, wenn Menschen weltweit, gegenwärtig und in Zukunft, würdig leben und ihre Bedürfnisse und Talente unter Berücksichtigung planetarer Grenzen entfalten können.

Ein Bildungskonzept also, das darauf abzielt, die Gesellschaft zu verändern?

Vanessa Reinwand-Weiss: Um verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, kann man sich Fragen wie diese beantworten: Wie beeinflusst mein Handeln Menschen nachfolgender Generationen in meiner Kommune oder in anderen Erdteilen? Welche Auswirkungen hat es, wie ich konsumiere, welche Fortbewegungsmittel ich nutze oder welche Energie ich verbrauche? Oder was können wir gegen Armut tun? BNE will die gesellschaftliche Transformation – sie setzt auf partizipative Entscheidungen, Wissen und neue Verhaltensmuster.

Wie können sich kulturelle Bildung und BNE kombinieren lassen? 

Vanessa Reinwand-Weiss: Sie sind gut kombinierbar, bleiben aber eigenständig. BNE hat konkrete Bildungsziele, kulturelle Bildung kann einen Möglichkeitsraum aufmachen, damit der Transformationsprozess der Gesellschaft gelingt. Denn kulturelle Bildung durch die Künste beeinflusst die Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeiten. Sie bildet damit eine Grundlage für Selbstreflexions-, Selbstwirksamkeits- und Teilhabeprozesse. Kulturelle Bildung schafft Anregungsarenen, sie lässt Ideen entstehen, sie setzt Impulse. Sie lädt Individuen dazu ein, diese Welt mitzugestalten.

Kann Kultur ein Katalysator sein für nachhaltige Entwicklung?

Vanessa Reinwand-Weiss: Aus meiner Sicht – ja. Kulturschaffende befassen sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen und können ein Sprachrohr sein – nicht nur zu ökologischen Fragen und zum Umweltschutz, auch zu sozialen Themen wie Bildungsungerechtigkeiten oder ökonomischen Fragen. Aber sie sollten dafür selbst immer mit gutem Beispiel vorangehen.

Auch „Kultur macht stark“ fördert Projekte mit BNE-Bezug. Kinder sammeln beispielsweise Müll und setzen sich mit ihren Fundstücken so kreativ auseinander, dass Upcycling-Produkte entstehen. Andere planen in Computeranimationen Städte der Zukunft oder setzen sich mit Umweltschutz in ihrer Region auseinander.

Vanessa Reinwand-Weiss: Es gibt viele gute Praxisbeispiele in der Umweltbildung. Die Bündnisstruktur von „Kultur macht stark“ ermuntert dazu, dass sich unterschiedliche Partner zusammenschließen, wie etwa Ortsgruppen von Umweltverbänden oder kommunale Beauftragte fürs Klimamanagement mit Kulturpartnern. Durch solche Kooperationen behält jeder Bildungspartner seine Eigenständigkeit und kann sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren. Es entstehen unterschiedlichste Konstellationen, die das Potenzial haben, Milieublasen aufzubrechen und passende Angebote für unterschiedliche Altersgruppen anzubieten, aber Teilhabe immer sehr umfassend gewährleisten.

Wie wichtig ist dabei die kulturelle Teilhabe, um die es ja bei durch „Kultur macht stark“ geförderte Programme neben der Vermittlung künstlerischer Ausdrucksformen geht?

Vanessa Reinwand-Weiss: Kulturelle Teilhabe ist ein zentrales Stichwort und von großer Bedeutung für Bildungsgerechtigkeit. Durch kulturelle Bildungsangebote wird Teilhabe möglich. Kinder und Jugendliche üben Wahrnehmungsfähigkeiten ein, probieren sich aus, ihnen werden neue Perspektiven und Handlungsräume eröffnet. Das befähigt sie dazu, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und sich als selbstwirksam zu erfahren.

Kann kulturelle Bildung dazu beitragen, die Gesellschaft im Kern als Gemeinschaft zusammenzuhalten und fit für die Zukunft zu machen?

Vanessa Reinwand-Weiss: Das Potenzial hat sie. Aber ich möchte einschränkend sagen, dass sie nicht alles leisten kann. Sie ist ein unverzichtbares Element in der Allgemeinbildung, aber sie sie kann nicht die Welt retten und sollte auch einfach eine zweckfreie, unbeschwerte und selbstbestimmte Tätigkeit sein.

Als Direktorin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung und Mitglied im Rat für Kulturelle Bildung kennen Sie sich auch aus mit dem „Kulturraum Kindheit und Jugend“. Hat sich dieser Kulturraum während der Corona-Pandemie verändert?

Vanessa Reinwand-Weiss: Die Kulturräume sind enger geworden – für alle. In Familien, die wir als bildungsnah bezeichnen, kann das oft noch kompensiert werden, in anderen Familien fehlen unter Umständen Anregungen. Überall wurde der Kulturraum Kindheit eingeschränkt: in der Kita und der Schule, in Musik- und Kunstschulen und sogar bei Treffen auf dem Spielplatz oder auf der Skaterbahn.

Die digitale Welt gehört aber auch zu diesem Kulturraum?

Vanessa Reinwand-Weiss: Die digitale Mediennutzung der Kinder und Jugendlichen gehört definitiv zu diesem Kulturraum. Sie unterscheiden nicht nach dem Motto hier ist analoge Welt, dort die virtuelle. Für sie und uns alle sind zunehmend die Übergänge fließend oder eine Trennung überhaupt nicht mehr denkbar. Es gibt viele gute Möglichkeiten, in der kulturellen Bildung digitale Medien und neue technische Optionen sinnvoll und kreativ zu nutzen. Viele Bündnispartner von „Kultur macht stark“ setzen sie ja ein.

Wirken kulturelle Bildung und BNE auch beim Thema Digitalisierung sinnvoll zusammen?

Vanessa Reinwand-Weiss: Kulturelle Bildung kann Kinder und Jugendliche reflektierter machen im Umgang mit ,Social Media‘ und ihre Medien- und Bildkompetenz trainieren. Je mehr sie selbst wissen, je besser sie informiert sind, desto besser können sie Informationen und ihren Nachrichtenwert einordnen und in einen größeren Kontext setzen – das gilt übrigens nicht nur für Kinder und Jugendliche. Oder nehmen wir das Stichwort Mobilität: Ich selbst war vor der Pandemie viel auf Dienstreisen und habe nun vieles durch Videokonferenzen ersetzen können – das ist ökologisch nachhaltiger. BNE und die Digitalisierung sind Innovationstreiber, die unsere Gesellschaft verändern. Kulturelle Bildung ist ein guter Innovationsbegleiter. Mit ihr können diese Prozesse engagierter, reflektierter und selbstbestimmter angegangen werden.