Navigation und Service

Bundesministerium für Bildung und Forschung - Startseite

Kultur macht stark – und hilft, eigene Grenzen zu überwinden

Ein Gespräch über Projekte in Pandemiezeiten und Lernprozesse: Dr. Monika Burzik, Leiterin des Zweckverbands Kulturforum und Kreismusikschule Mayen-Koblenz, schildert die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf.

Frau Dr. Burzik, wie sehr beeinträchtigt die Corona-Pandemie Ihr Projekt „Mut macht erfinderisch – Film ab!“, das durch „Kultur macht stark“ gefördert wird?

Dr. Monika Burzik: Während der Lockdown-Phasen ruhte das Projekt, digitale Angebote waren bei unserer Zielgruppe nicht möglich, die Kinder waren nicht erreichbar. Aber bei jeder Schulöffnung, die zwischenzeitlich möglich war, waren alle wieder dabei, sehr zur Freude der Teilnehmenden und auch der Elisabeth-Schule, die von ihnen besucht wird. Aufgrund der Langeweile, die der Lockdown mit sich gebracht hatte, war das Interesse am gemeinsamen Lernen in den einzelnen Gruppen wesentlich größer als vorher, wo es manchmal nur um eine Teilnahme ging. Alle waren viel zuverlässiger und haben sich deutlich mehr an Absprachen gehalten, als es vorher der Fall war. So haben die Unterbrechungen bei den Teilnehmenden zu einem größeren Verantwortungsgefühl und einer größeren Wertschätzung des Projekts geführt – in jedem Fall ein interessanter Aspekt. Leider war, wie schon im vergangenen Jahr, eine Abschlussveranstaltung nicht durchführbar. Diesmal zeigen wir zum Abschluss einen Film, der die Entstehung und den Verlauf der Projektarbeit zeigt. Trotzdem: Die einzigartige Atmosphäre einer Live-Veranstaltung mit allen Beteiligten ist doch etwas anderes, etwas Besonderes. Und der Projekttitel wurde geändert in: „Corona macht erfinderisch“. Das Coronavirus hat ja alle dazu gezwungen, kreativ mit der veränderten Situation umzugehen.

Wer sind „alle“? Mit welchen Bündnispartnern kooperiert die Kreismusikschule bei „Kultur macht stark“-Projekten? 

Vor allem mit Grundschulen im Landkreis Mayen-Koblenz, dazu mit dem Förderverein der Kreismusikschule und unserer Jugendkunstschule. Ergänzend kommen je nach Projekt unterschiedliche Partner hinzu. Hier gibt es eine große Bandbreite – vom Andernacher Stadtorchester bis zu einem Seniorenheim in Mayen. Überall erleben wir die Zusammenarbeit konstruktiv und positiv. Zudem erfahren wir große Unterstützung durch ehrenamtliche Mitarbeit.

An welche Kinder richteten sich Ihre Projekte und wie profitieren sie davon?

Es sind hauptsächlich Kinder aus sozial benachteiligten Familien mit erschwertem Zugang zu kulturellen Angeboten. Seit einigen Jahren liegt auch ein Schwerpunkt auf Projekten für Kinder mit einem besonderen Förderbedarf im Bereich des schulischen Lernens, der Leistung und des Lernverhaltens. Sie haben ein verlangsamtes Arbeitstempo und benötigen nicht nur die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten, sondern müssen auch sozial, emotional und sprachlich gefördert werden. Sie profitieren in vielerlei Hinsicht von der Teilnahme an den „Kultur macht stark“-Projekten, im Wesentlichen aber wird ihr Selbstvertrauen gestärkt. Zudem entwickeln sie Offenheit und Toleranz, um ein respektvolles Miteinander zu leben. Verantwortungsgefühl und Teamgeist in der Gruppe werden gefördert.

In der Projektarbeit geht vor allem um das gemeinsame Finden und Umsetzen von Aus-drucksmöglichkeiten.
In der Projektarbeit geht vor allem um das gemeinsame Finden und Umsetzen von Ausdrucksmöglichkeiten. © Joanna Gypser/Kulturforum und Kreismusikschule Mayen-Koblenz

Wie gelingt das am besten?

Zu Beginn des Projekts werden den Kindern und Jugendlichen die verschiedenen Teilnahmemöglichkeiten vorgestellt: Singen im Chor oder solistisch, Instrumentalgruppen mit „Trashdrumming“, Percussion, Keyboard oder E-Gitarren und -Bässe. Weitere Angebote sind die Theatergruppe, die die Geschichte des Projekts szenisch darstellt, eine Tanzgruppe, die verschiedene Choreografien einübt und die Kunst-AG, die für Kostüme und Bühnenbild zuständig ist. Und diesmal auch eine Film-Crew, die die Probenarbeit begleitet und den ganzen Prozess in einem Video dokumentiert. Die Teilnehmenden dürfen auch ausprobieren, was ihnen am besten liegt. Jeder kann sich also für eine kreative Aktivität entscheiden, die den eigenen Interessen und Fähigkeiten entspricht. Entstanden ist dieses Konzept durch einen Lernprozess, der in unserem Dozententeam stattgefunden hat.

Wie hat sich dieser Lernprozess in der Praxis gezeigt?                                                                        

Es betraf auch das Team selbst: Anfänglich waren bis zu zehn wechselnde Lehrkräfte dabei, und unsere ersten Projekte waren zwar sehr ambitioniert, in der praktischen Durchführung aber auch störanfällig und problematisch. Das haben wir geändert. Inzwischen arbeiten wir in einem festen Dozententeam, das sich untereinander kennt und gut zusammenarbeitet. Alle zeichnen sich durch ein hohes Einfühlungsvermögen aus, sie finden schnell Zugang zu den Kindern und Jugendlichen – Naturtalente mit qualifizierter Hochschulausbildung!

Der andere Punkt ist, dass wir in den ersten unserer mittlerweile neun Projekte vorgegebene Musicals mit den Kindern erarbeitet haben, jetzt entwickelt das Team die Geschichten mit allen Facetten gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen, also die Songs, die Choreografie, Texte, Bühnenbild und Kostüme. Wichtig ist, möglichst viele Ideen der Schülerinnen und Schüler zu verwenden. So entdecken wir ihre Talente, machen sie sichtbar und fördern sie. Und die Kinder fühlen sich ernstgenommen und übernehmen Verantwortung für die Ergebnisse. Das sieht man an den großartigen Aufführungen zum Abschluss – jedenfalls vor Corona.              

Welche Rolle spielt die Musik in den Projekten?

Sie spielt eine große Rolle, denn über Klänge, Töne und Rhythmen erreichen wir die Kinder auf einer emotionalen Ebene. Musik berührt jeden. Manches Kind bekommt erstmals die Gelegenheit, selbst zu musizieren, und muss sich herantasten. Daher freuen sich alle – auch die Lehrkräfte – über jeden kleinen Fortschritt. Im Übrigen beschränkt sich unsere Projektarbeit ja nicht nur auf das Musizieren. Es geht vor allem um das gemeinsame Finden und Umsetzen von Ausdrucksmöglichkeiten. Hierfür ist das Musizieren eine Möglichkeit unter vielen. Andere Optionen sind zum Beispiel das künstlerische Arbeiten am Bühnenbild und den Kostümen, das Einstudieren von Tanz- und Sprechszenen, aber auch von komplexeren Choreografien. Das alles wird im Ergebnis am Schluss zusammengeführt. Unsere Abschlussveranstaltungen in den letzten Jahren waren für alle Teilnehmenden immer ein großartiger Erfolg: Die Kinder waren unglaublich stolz, endlich das gemeinsam Erlernte ihren Eltern, Familien und Schulfreunden vorführen zu können. Und da passieren teilweise Dinge, die vorher so niemand für möglich gehalten hätte.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich selbst habe das einmal bei einer Aufführung gesehen, als eine zwölfjährige Förderschülerin mit einer leichten sprachlichen Beeinträchtigung sich getraut hat, allein auf der Bühne der vollbesetzten Schulaula ohne unterstützende Begleitung zu singen. Und allein die Gedächtnisleistung bei anderen Kindern mit Lernschwierigkeiten ist beachtenswert: sich die langen Texte für ihre Sprechrollen zu merken.

Normalerweise bedeutet ja „Vorführeffekt“, dass Dinge wider Erwarten nicht funktionieren. Hier scheint es umgekehrt zu sein. Wie erklären Sie sich das?

Die Kinder erfahren positive Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Ihr Selbstbewusstsein wird durch die Mitarbeit in den Projekten in außerordentlicher Weise gefördert, sie wachsen über sich hinaus, erfahren, dass sie über ihre bisherigen (eigenen) Limitierungen hinausgehen können. Stolz und Freude über die eigene Leistung führen zu diesen besonderen Momenten bei der Präsentation.

Also Lob und Zuwendung als Ansporn zum Lernen?

So könnte man es nennen. Und es kommt sicher auch nicht von ungefähr, dass viele ganz traurig sind, wenn das Projekt schließlich zu Ende ist. Dann kommt eigentlich immer die Frage: „Wann gibt es das nächste Projekt?“ – übrigens auch von unserem Dozententeam!

Box_title

Um Dr. Monika Burzik, Leiterin der Kreismusikschule Mayen-Koblenz, ist während ihrer Zusammenarbeit mit dem Förderverein der Kreismusikschule wie auch mit der Jugendkunstschule ein eingespieltes Team aus Pädagoginnen und Pädagogen gewachsen, das sich auf die speziellen Herausforderungen in der Projektarbeit mit Kindern und Jugendlichen an Förderschulen eingestellt hat. Zu den Bündnispartnern zählt auch die Elisabeth-Schule in Andernach, eine Schule mit dem Schwerpunkt Lernförderung.