Kultur bleibt stark – auch in Coronazeiten
Engagement und Kreativität – das war das Rezept der „Kultur macht stark“-Akteure, um der Corona-Krise zu trotzen. Sie haben flexible und fantasievolle Formate entwickelt, um Kindern und Jugendlichen aus der Distanz kulturelle Bildung zu ermöglichen.
Vielen fällt es schwer, in der Corona-Pandemie auf persönliche Zusammentreffen zu verzichten. Die „Kultur macht stark“-Akteure haben sich den Herausforderungen der vergangenen Monate gestellt und in atemberaubender Geschwindigkeit viele interessante Projekte für Kinder und Jugendliche entwickelt. Förderer, Initiativen und Akteurinnen und Akteure vor Ort haben festgestellt, dass kulturelle Bildung auch auf Distanz Brücken bauen kann.
„In solchen Zeiten ist Haltung wichtig“, findet Martina Kessel von „Aktion Tanz – Bundesverband Tanz in Bildung und Gesellschaft e.V.“, einem der Programmpartner von „Kultur macht stark“. „Unser zentraler Gedanke war stets, nichts zu stoppen, sondern auch weiterhin Begegnungen möglich zu machen – wenn auch mit digitalen Mitteln als Vermittler. Dafür war Flexibilität gefragt. Zu unseren positiven Erfahrungen zählt, dass in dieser schwierigen Zeit alle Beteiligten diese Flexibilität in hohem Maß aufgebracht haben. Wir haben also auch die Möglichkeiten gesehen, die in der neuen Situation liegen. Wir können kreativ und fantasievoll damit umgehen, wenn wir uns auf Neues einlassen“, sagt die Projektleiterin von „Chance Tanz“.
Anspruch auf ästhetisch hochwertige Ergebnisse bleibt erhalten
Ähnliche Erfahrungen hat auch Kerstin Hübner von der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) gemacht: „Die Bereitschaft, sich auf die neue Situation der Kontaktbeschränkungen einzustellen, ist unabhängig von der Sparte oder Trägergröße enorm. Anfangs wurde spontan reagiert oder auch improvisiert. Es ging vor allem ums Kontakthalten, um die Stärkung der Motivation und auch ein Umsteuern, etwa wenn Erarbeitetes nicht mehr live präsentiert werden konnte. Dann wurde pragmatisch auf digitale Formate umgeswitcht.“ Inzwischen erhält die BKJ als Programmpartner immer mehr Anträge mit ausgefeilten hybriden Konzepten. „Denn die Bündnisse haben ihre Ansprüche an hochwertige Prozesse und Ergebnisse nicht aufgegeben“, betont Kerstin Hübner. Gerade in Corona-Zeiten sollen Kinder und Jugendliche Ermutigung und Lebensfreude in der Kunst finden können. „Und zwar indem sie nicht nur auf Bildschirme starren und mit Mäusen klicken, sondern sich auch weiterhin mit ihren Händen und mit ihren Körpern ausprobieren, indem sie Material gestalten, kreative Texte verfassen oder Musik machen.“
Analoge und digitale Formate mischen
Künstlerische Prozesse anstoßen, Inspiration vermitteln und Kinder und Jugendliche begleiten und anleiten – das gelingt auch digital. „Bandprojekte setzen auf individuellere Proben, Musikerinnen und Musiker üben sich im Komponieren und probieren dabei auch technische Tools aus“, beschreibt Kerstin Hübner. „Die Prozesse, gemeinsam etwas zu erarbeiten, verändern sich. Es entstehen neue Formen des Miteinanders.“ Ein Beispiel für ein innovatives Format ist etwa die Herangehensweise in einem Leipziger Jugendzentrum, das Angebote wie Skaten, Graffiti, Rap und Urban Dance macht. Dort tauchte die Frage auf, wie man Jugendlichen, die wegen der Kontaktbeschränkungen mit Motivationsverlust, Schul- und Existenzängsten kämpfen, digital ermöglichen kann, kreativ zu werden. Dabei hat sich die „Rapkette“ bewährt. Dafür nahmen die Jugendlichen kleine Handyvideos auf, die das Jugendzentrum dann zusammenfügte und online stellte. Wer das nicht wollte, konnte auch nur Textfragmente schicken, die dann von anderen Rapperinnen oder Musikern inszeniert wurden.
Konkret werden auch in der digitalen Welt
Mit der Frage, wie man Menschen durch digitale Impulse in Bewegung bringen kann, wie man analoge und digitale Formate mischen kann, hat sich auch „Chance Tanz“ beschäftigt. „Die Gemeinschaft soll spürbar bleiben, auch die künstlerische Handschrift“, sagt Martina Kessel. „Wir haben festgestellt, dass Konkretes wichtig ist im Digitalen. Das klappt gut, wenn man beispielsweise einen bestimmten Ort als verbindendes Element nimmt und die Teilnehmenden mit kleinen, individuellen Aufgaben an diesen Ort schickt. Diese Aktion kann dann fotografiert werden und alle Ergebnisse werden digital geteilt. Das sind neue Wege auch der spartenübergreifenden Herangehensweise – Film, Foto, Geschichten verfassen und erleben, all das kann eingebunden werden.“
„Neue Wege“ ist auch ein Stichwort für Yasmin Welkenbach, Projektmanagerin beim Programmpartner Stiftung Lesen, die als Initiative das Projekt „Mit Freu(n)den lesen – in Leseclubs und media.labs“ verantwortet. „Wir haben viele ehrenamtliche Kräfte im Einsatz, die mit Kindern in den Leseclubs zusammen sind, oder mit den Jugendlichen in „media.labs“ eigene Hörspiele entwickeln. Oftmals sind die Ehrenamtlichen etwas älter und zählen zu den Corona-Risikogruppen. Deshalb kamen viele Fragen bei uns an, wie das Kontakthalten auch in der Distanz gelingen kann“, schildert Yasmin Welkenbach. Die Stiftung Lesen hat schnell reagiert und den Wünschen entsprechend niedrigschwellige Angebote zur Vermittlung oder Auffrischung von Online-Kenntnissen für die Ehrenamtlichen angeboten.
Gruppenalltag auch in Ausnahmesituation
Die lokalen Akteurinnen und Akteuren haben inzwischen eine Vielzahl von Spiel- und Mitmachideen entwickelt, die auch ohne persönliche Treffen funktionieren. „Es wurde viel experimentiert. Natürlich muss man immer schauen, wie die Gegebenheiten vor Ort sind, wie alt etwa die Kinder sind und wie man auch die Eltern mit ins Boot holen kann“, sagt Yasmin Welkenbach. Es sind Vorlesegruppen über Instant-Messenger-Dienste entstanden, wo zum Beispiel das eigene Lieblingsmärchen – dargestellt durch Emojis – erraten werden musste. Es gab digitale Lesecafés, Bastelideen wurden per YouTube geteilt, Lesenächte per Videotelefon veranstaltet. Zwischen manchen Leseclubs sind Brieffreundschaften entstanden. Ob kleine Rätsel, Witze, Buchtipps, Lieblingsrezepte oder Blumensamen – die Kinder packen ihrer zugelosten Brieffreundin oder ihrem zugelosten Brieffreund in die „Happy Mail“ das, was sie selbst mit Freude erfüllt.
Auch im Leseclub im saarländischen Nalbach hat man sich überlegt, wie ein Stück Gruppenalltag in Ausnahmesituationen realisiert werden kann. Die Antwort: mithilfe eines hybriden Formats! Dazu packt die Leseclubleiterin für jede Gruppenstunde eine Mitmach-Wundertüte mit kleinen Dingen. Sie überlegt jede Woche neu, wie sie das Motto spannend für die Kinder umsetzen kann. Material für Bastelaktionen oder Zubehör für Experimente wandert dann in die Wundertüte, die bei ihr zu Hause oder bei zwei anderen Leseclubbetreuenden abgeholt werden kann. Diese Wundertüte macht neugierig – im Vorfeld und auch beim Auspacken. Zeitungsblätter, Federn, Pompons und Kreppband – was kann man daraus machen? Die Antwort bringt ein Video, das erklärt, was sich mit dem Tüteninhalt zaubern lässt. In jeder Tüte dabei: ein Fantasiebonbon, das auch zu Beginn der regulären Gruppenstunden niemals fehlen durfte.
Und welche Erfahrungen aus dem Lockdown will niemand missen? Die schnelle Kommunikation, den direkten Austausch mit den Teilnehmenden – und die Erkenntnis, dass man sich auch mit Abstand ganz nah sein kann.