Globale Fragen, lokale Antworten
In Konstanz haben sich Jugendliche mit Menschenrechten beschäftigt und das Ergebnis in einer Tanztheater-Performance verarbeitet. Zwei Akteurinnen aus dem Bündnis hinter dem Projekt berichten im Interview über belastbare lokale Netzwerke.
Frau Braumann, Frau Jäckel, das Projekt Utopia 4.0 ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie die Vernetzung auf lokaler Ebene funktioniert. Wie ist Ihre Rollenteilung innerhalb des Bündnisses?
Tanja Jäckel: Zu den Bündnispartnern zählt der Verein Hope Human Rights e.V., der sich durch kreative Sozialarbeit mit künstlerischen Mitteln wie Tanz, Theater und bildende Kunst für Menschenrechte einsetzt. Ich bin als Tanz- und Theaterpädagogin für die künstlerische Leitung zuständig. Weitere Bündnispartner sind die Gemeinschaftsschule Gebhard, über die wir Jugendliche erreichen, und das Kulturamt Konstanz.
Angelika Braumann: Ich bin beim Kulturamt der Stadt Konstanz angestellt, mein Schwerpunkt ist die kulturelle Bildung. In diesem Projekt habe ich mich neben dem inhaltlichen Austausch auch mit um die Antragstellung gekümmert. Das ist für einen Bündnispartner unter Umständen nicht leicht zu bewerkstelligen, oft fehlen die personellen Kapazitäten.
Was ist bei der Antragstellung zu beachten?
Angelika Braumann: Es erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den Vorgaben. Das Gute daran ist, dass man sich dafür ständig selbst prüfen muss. Man reflektiert die Idee und bewertet sie, etwa mit Blick auf die Nachhaltigkeit. Das habe ich nicht allein geleistet, sondern im Zusammenspiel mit anderen Akteuren und selbstverständlich vor allem mit Tanja Jäckel.
Wie entstand die Idee zu Utopia 4.0?
Tanja Jäckel: Wir wollten das Paradox aufgreifen, dass einerseits die Welt globaler und vernetzter ist, anderseits eine Angst vor dem Fremden und den Fremden spürbar ist. Das nehmen auch Jugendliche wahr. Sie erleben, dass rechte Parolen wieder Konjunktur haben. Da tauchen Ängste auf. Und auch die Frage, wie damit umzugehen ist.
Angelika Braumann: Die Jugendlichen sollten sich mit der Bedeutung von Grundwerten und Menschenrechten beschäftigen können: Wie tolerant und couragiert sind wir eigentlich, wenn keiner hinsieht? Das sind gesellschaftspolitische Fragen, die auch Jugendliche umtreiben. Über die künstlerischen Mittel Tanz und Theater konnten sie sich damit auseinandersetzen.
Wie haben Sie diese Idee dann umgesetzt?
Angelika Braumann: In der ersten Phase ab Februar 2019 waren etwa 40 Jugendliche dabei. Sie konnten Workshops ausprobieren, sich dabei kennenlernen. In der zweiten Phase gab es einen harten Kern von 22 Jugendlichen im Alter von 15 bis 17. Sie sind unter anderem ausgeschwärmt in die Stadt und haben Passanten interviewt, fragten sie, wie es zum Beispiel um die Menschenrechte in der direkten Umgebung bestellt sei. Eine andere Frage war die nach dem Menschenrecht auf Bildung mit Blick auf geflüchtete Kinder oder Kinder mit Behinderungen. So haben die Jugendlichen ihre Stadt noch einmal mit anderen Augen gesehen.
Tanja Jäckel: Für uns war es auch spannend zu beobachten, wie sich das Projekt inhaltlich erweitert hat. Ausgehend vom Thema Menschenrechte und Toleranz kam in der zweiten Jahreshälfte 2019 das Thema Umwelt- und Klimaschutz hinzu. Befeuert durch aktuelle Entwicklungen ging es plötzlich auch um das Menschenrecht auf eine saubere Umwelt. Und in diesem Zusammenhang um eine Zwickmühle der Jugendlichen: Sie wollten bei „Fridays for Future“ protestieren, bekamen aber mit, dass Eltern – und auch Politikerinnen und Politiker – das nicht gerne gesehen haben.
Sie haben flexibel reagiert und die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung aufgegriffen?
Tanja Jäckel: Flexibilität und Offenheit ist grundsätzlich immer gefragt beim Umgang mit Jugendlichen. Wir setzen ja nur einen Rahmen, der von ihnen ausgefüllt wird. Als wir damals loslegten, hieß es, die „Generation Smartphone“ interessiere sich für nichts. Und plötzlich wurde daraus die „Generation Greta“ – diese Entwicklung kam überraschend.
Angelika Braumann: Diese Prozesse zu begleiten, ist für uns im Kulturamt ebenfalls spannend. Ich tausche mich mit Projektpartnern aus und dokumentiere den Verlauf. Selbstverständlich verlasse ich dafür mein Büro, besuche immer mal wieder Proben und verfolge, was sich künstlerisch und pädagogisch entwickelt.
Den Abschluss des Projekts bildet eine Präsentation. Wie haben Sie die angelegt?
Tanja Jäckel: Es ist eine interaktive Kunst-Performance, die viele Aspekte zeigt. Zu sehen ist eine Ausstellung mit künstlerischen Arbeiten der Jugendlichen. Ganz wichtig sind aber auch dialogische Formate, die das Publikum mit einbeziehen. Es wird gefragt, ob es sich für Klimaschutz interessiert oder sich politisch engagiert. In einer Tanztheater-Performance sind ergänzend zur Bewegung eigene Texte der Jugendlichen zu hören. All diese Facetten haben die Jugendlichen gemeinsam erarbeitet. Sie zeigen ihre Ängste angesichts der Zukunft, aber es geht auch um ihre Wünsche, um Zuversicht, um ein Gemeinschaftsgefühl.
Kommen wir noch einmal zurück zum Stichwort Nachhaltigkeit Ihrer Arbeit im Bündnis. Was bleibt von den Erfahrungen im Projekt erhalten?
Angelika Braumann: Wir standen stets im engen Austausch mit den Bündnispartnern, das ist schon einmal eine gute Voraussetzung. So entsteht gerade aus den teilnehmenden Jugendlichen heraus ein Kulturteam, das zukünftig eigene Projekte initiieren und umsetzen möchte. Die in der Schule bereits vorhandene offene Atmosphäre für kulturelle Angebote wurde noch einmal intensiviert, denn es hat sich gezeigt, wie positiv sich diese auswirken.