„Es lag den Jugendlichen auf der Seele“
Jugendliche verarbeiten den Suizid ihres Mitschülers (12) in einem beeindruckenden Film. Ein Gespräch mit Heike Mittelstädt vom Filmklub Güstrow e. V. über das Projekt, das eine kreative Auseinandersetzung mit der Trauer ermöglichte.
Frau Mittelstädt, bitte erzählen Sie uns etwas über das ungewöhnliche Projekt.
Es heißt „Lebendig in den Herzen“ und lief von April bis September dieses Jahres. Schülerinnen und Schüler der Schule an der Ahornpromenade mit Förderschwerpunkt Lernen wollten etwas Bleibendes zur Erinnerung an ihren Ende 2017 verstorbenen Mitschüler schaffen und nicht nach der ersten Trauer direkt wieder zum Alltag übergehen.
So kam der Impuls für das Projekt nicht aus Ihrem Filmclub?
Zunächst kam von uns die Idee, ein interkulturelles Filmprojekt mit Kindern der Schule durchzuführen. Die Schulleiterin setzte sich dann sehr dafür ein, dass wir dieses besondere Thema aufgreifen. Obwohl auch im Unterricht auf den Suizid des Jungen eingegangen worden ist, wurde das Thema als Riesenproblem wahrgenommen. Es lag den Jugendlichen auf der Seele. Auch uns erschien ein Film als geeignetes Mittel, um ein Andenken zu schaffen. Das Bundesprogramm „Kultur macht stark“ kennen wir schon länger. Auch hatten wir vom Bundesverband Jugend und Film e. V. Infomaterial zu „Movies in Motion“ erhalten. Am Ende ging alles ganz schnell: Vom Antrag bis zur Bewilligung vergingen nur wenige Wochen.
Sie hielten organisatorisch die Fäden in der Hand. Mussten Sie neue Partner für das Projekt finden?
Der gute Kontakt zur Schule besteht schon lange. Hinzu kam als Bündnispartner der ambulante Hospizdienst „Christophorus“ Güstrow von Diakonie und Caritas. Er hat das Projekt mit geplant, viele Ideen eingebracht und Gruppenarbeiten gestaltet. Auch nahm der Hospizdienst eine beratende Rolle für die Bündnispartner und die Eltern ein. Wir haben die gemeinsame Arbeit ständig neu besprochen, um immer angemessen auf das emotionale Befinden der Teilnehmer eingehen zu können. Außerdem haben wir eine Diplompädagogin vom Trauernetzwerk Rostock hinzugeholt, die auf die Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist. Die filmische Umsetzung wurde von den unabhängigen Filmemachern Gerd Simoni, Daniel Zollfrank-Schult und Khaled Dyab Agha begleitet. Auch das Sozialamt Rostock, das Jugendamt des Landkreises Rostock und das Schulverwaltungsamt hatten ein Auge auf das Projekt.
Gab es seitens der Eltern Bedenken?
Viele Eltern waren froh, dass das Fehlen des Mitschülers thematisiert wurde. Manche hatten Sorge, dass ihr Kind zu traurig werden würde, so konnte etwa ein Mädchen nicht mit zum Friedhof kommen. Ein anderer Junge durfte nicht im Film gezeigt werden, er wurde dann aber hinter der Kamera eingebunden.
Es gab sicher einiges zu tun, auch jenseits des Filmdrehs …
Genau. Gefilmt wurden verschiedene Stationen aus dem Leben des Mitschülers. Ein kleines Boot mit guten Wünschen wurde gestaltet sowie Kerzen mit Widmungen versehen. Das Filmteam beschritt die Wege des Jungen bis hin zum Friedhof in Neubrandenburg. Die Jugendlichen gestalteten zudem Cover und Rohlinge der DVD. Zudem bereiteten sie gemeinsam mit engagierten Lehrkräften eine Präsentation vor.
Denken Sie, dass das Filmprojekt für die Jugendlichen hilfreich war, um die Trauer zu verarbeiten?
Das Boot wird im Film aufs Wasser gelassen. Hierhinter verbirgt sich der Gedanke, Max noch etwas mit auf seinen Weg zu geben, Dinge zu sagen, die man nicht mehr sagen konnte. Das Schiff hatten die Mädchen und Jungen mit Botschaften beschrieben: „Du warst unser Freund“, „Du fehlst uns“, „Du warst nett“. Diese intensive Beschäftigung war wichtig. Ich glaube, das Thema wäre sonst versackt. Unser gesellschaftlicher Umgang mit Tod und Trauer ist befangen. Weil wir die professionelle und feinfühlige Unterstützung durch die Trauerbegleiterin hatten, wurde in der Gruppe Vertrauen aufgebaut. Es gab intensive, emotionale Stunden, aber auch entspannte, fröhliche und kreative Momente. Wichtig war, dass alle den Raum fanden, mit ihren Gefühlen umzugehen. Auch hat der Hospizdienst den Teilnehmern ständig die Möglichkeit der Beratung angeboten, noch über die Projektzeit hinaus.
Wo wird der Film zu sehen sein?
Im November 2018 wird „Lebendig in unseren Herzen“ in einem Café, in dem deutsche und ausländische Jugendliche zusammenkommen, gezeigt. Über den Filmklub Güstrow e. V., der viele kleine Clubkinos mit Filmen versorgt, kann der Film von anderen Kinos gebucht werden. Auch an der Schule wird es kleinere Vorführungen geben, bei denen das Filmthema mit den Schülern besprochen wird.