Die eigenen Talente entdecken
Sie zeichnen, musizieren oder tanzen: Rund 700.000 Kinder und Jugendliche haben an „Kultur macht stark“-Projekten teilgenommen oder machen derzeit mit. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek spricht über die Bedeutung kultureller Bildung.
Frau Ministerin Karliczek, warum macht Kultur stark?
Anja Karliczek: Kultur macht stark, weil sie ganz besondere Bildungszugänge ermöglicht: zum Beispiel sich kreativ und gestalterisch auszudrücken, mit anderen etwas zu erarbeiten und zu präsentieren. Eigene Talente zu entdecken, beflügelt. Es gibt Kindern und Jugendlichen Selbstbewusstsein, stärkt ihre Persönlichkeit und ihre sozialen Kompetenzen. Das alles sind wichtige Voraussetzungen auch für den Bildungserfolg in Schule und Ausbildung und die Teilhabe an unserer Gesellschaft. Kulturelle Bildung stärkt damit auch den Zusammenhalt und die Integration – gerade in außerschulischen Angeboten mit bereichernden Erfahrungen in anderen Lernumgebungen. Deshalb haben wir das erfolgreiche Programm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“, das 2013 gestartet ist, bis 2022 verlängert und fördern Projekte der außerschulischen kulturellen Bildung mit insgesamt bis zu 480 Millionen Euro.
Gibt es nicht schon genügend Angebote dieser Art?
Sicherlich gibt es bereits gute Angebote. Wir wollen mit „Kultur macht stark“ die Kinder und Jugendlichen erreichen, die bisher nicht an außerschulischer kultureller Bildung teilgenommen haben. Jedes vierte Kind in Deutschland wächst in einer schwierigen sozialen oder finanziellen Situation auf, die den Zugang zu guter außerschulischer Bildung erschwert. Für die Kinder und Jugendlichen ist die Teilnahme an den Projekten von „Kultur macht stark“ kostenlos. Die Bandbreite ist groß und spricht alle Interessen an: Es entstehen Kunstwerke, Theateraufführungen, Gedichte und Geschichten, Comics, Songs oder Hörspiele. Es gibt Zirkuskurse, Stadt- und Naturerkundungen, Leseclubs, digitale Projekte ... Gerade das Gestalten mit digitalen Medien ist für viele Kinder und Jugendliche interessant und wird aktuell bei einem Drittel aller Projekte eingesetzt. Rund 700.000 Kinder und Jugendliche haben wir mit „Kultur macht stark“ bereits erreicht.
Was ist das Besondere der Angebote von „Kultur macht stark“?
Wir fördern Projekte, die von lokalen Bündnissen für Bildung auf die Beine gestellt werden. Das sind Zusammenschlüsse etwa aus Jugendzentren, Kultureinrichtungen, Vereinen, aber auch verschiedenen Bildungsinstitutionen. Es gibt immer einen Bündnispartner, der das kulturelle und pädagogische Know-how mitbringt, und einen, der den Zugang zu den Kindern und Jugendlichen hat, weil er in einem bestimmten Stadtviertel aktiv ist oder aus der Sozialarbeit kommt. Diese Bündnisse kennen die Situation vor Ort genau und sprechen die Kinder und Jugendlichen oft persönlich an. Um das Interesse zu wecken, gibt es häufig Schnupperangebote, in viele Projekte werden auch Eltern eingebunden. Engagierte Pädagoginnen und Pädagogen, Kulturschaffende und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter arbeiten eng zusammen und können auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen eingehen. Das ist ein großes Plus des Programms. Über 10.000 Bündnisse bundesweit waren so bisher aktiv und haben schon mehr als 23.000 Projekte durchgeführt. „Kultur macht stark“ funktioniert, weil sich so viele kompetente und engagierte Menschen vor Ort dafür einsetzen.
Und die Schulen lassen Sie ganz außen vor?
Nein, keineswegs! Schulen sind sogar bei 45 Prozent der Bündnisse als aktiver Partner mit dabei. Kinder und Jugendliche können hier direkt angesprochen werden, die Hürde, ein Angebot wahrzunehmen, ist dann nicht so groß. Wichtig ist, dass die Teilnahme an Projekten von „Kultur macht stark“ in Schulen freiwillig ist und das Angebot nicht den Unterricht ersetzt. Die moderne Schule von heute erschließt ihren Schülerinnen und Schülern neue Perspektiven und Lernwelten über ihre eigenen Angebote hinaus. Das kann hervorragend über Kooperationen mit anderen Bildungsakteuren aus dem außerschulischen Bereich erfolgen. Solche Angebote fördern das selbstgesteuerte Lernen und freiwillige Mitgestalten und schaffen eine Basis für eine gute Lernkultur insgesamt. Die Schulen können bei „Kultur macht stark“ von der Vernetzung mit anderen Bündnispartnern profitieren, neue Perspektiven entwickeln und Ressourcen gewinnen.
Welche Unterstützung erhalten die lokalen Bündnisse für Bildung?
Die Bündnisidee ist zentral in „Kultur macht stark“. Und zugegeben – es macht Arbeit, ein lokales Bündnis zu gründen. Aber es bringt den Bündnispartnern häufig einen eigenen Vorteil. Im gemeinsamen Erarbeiten eines Projektes werden Kräfte freigesetzt, die einzig aus der Partnerschaft resultieren. Vor allem, wenn Partner zusammenarbeiten, die sonst noch keine Berührungspunkte hatten – etwa ein Theater und ein Computerclub – entstehen oft großartige Ideen. Das ist auch für die vielen Ehrenamtlichen eine lohnende Erfahrung, wie uns immer wieder bestätigt wird. In fast allen Bündnissen sind Ehrenamtliche aktiv, für deren Unterstützung ich sehr dankbar bin. Die Bündnisse werden bei ihrer Arbeit von 29 Programmpartnern unterstützt, die die Bündnisprojekte fördern und beratend begleiten. Sie bieten auch Schulungen, Veranstaltungen und Materialien für die Honorarkräfte und Ehrenamtlichen an, die mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten. So entsteht bundesweit eine große „Kultur macht stark“-Community. Unser Ziel ist es, dass die Bündnispartner auch nach den Projekten zusammenarbeiten und dauerhaft Angebote vor Ort entstehen, die von den Kindern und Jugendlichen genutzt werden.