Bühne frei für unkonventionelle Partner
Der „Deutsche Bühnenverein“ ermöglicht mit seinem Förderprogramm „Zur Bühne“ Theater-, Tanz und Musikprojekte für Kinder und Jugendliche. Die Theater vor Ort gehen auch ungewöhnliche Bündnisse ein, etwa mit einem Männerbüro oder auch einem Zoo.
Wie alle Kunst, ist auch das Theater stets Ausdruck seiner Zeit. Es greift gesellschaftliche Strömungen auf, zeigt die Vielfalt der Lebensentwürfe und ermöglicht es, die eigene Identität zu reflektieren und auszubilden. Inszenierung, Musik und Tanz sind bereits für die Jüngsten ein Sprachrohr. Sie entwickeln eigene Ideen und Gedanken im künstlerischen Prozess – nicht nur tanzend oder singend auf der Bühne, sondern auch in der Kostümwerkstatt, im Schreibworkshop oder am Mischpult. Das Förderprogramm „Zur Bühne“ bietet Theater-, Tanz- und Musikprojekte für Kinder und Jugendliche, die zu Hause wenig oder kaum Zugang zu kulturellen Angeboten haben. „Wir ermöglichen kulturelle Teilhabe und eröffnen künstlerisch neue Perspektiven“, beschreibt Nora Friedrich, Projektleiterin beim „Kultur macht stark“-Programmpartner „Deutscher Bühnenverein“.
Männerbüro und Kampfsportschule als Bündnispartner
In der Regel sind es professionell betriebene Theater und Orchester, die sich um Förderung für ihre Kinder- und Jugendarbeit bemühen. „Wir haben vier Formate, die untereinander kombinierbar und flexibel nutzbar sind: Schnuppertag, Workshop, Inszenierung und Ferienprogramm“, erklärt Nora Friedrich. „Wir bieten Angebote für Kindergartenkinder ab drei Jahren bis hin zu jungen Erwachsenen im Alter von 18 Jahren. Sie finden an großen Spielstätten statt wie etwa den großen Opernhäusern in Berlin oder Köln, aber auch an kleineren Spielstätten außerhalb von Ballungsräumen“. Nora Friedrich und ihr „Zur Bühne“-Team sind immer wieder überrascht, wie kreativ die Antragsteller in der Auswahl ihrer Bündnispartner sind. So etwa wurde in Nordrhein-Westfalen ein Projekt zum Thema Körperbilder und Selbstwahrnehmung gefördert, in dem das Rheinische Landestheater Neuss mit einer Kampfsportschule zusammengearbeitet hat. In einem Projekt des Badischen Staatstheaters Karlsruhe ging es um Rollenbilder im Tanztheater. Zusammengearbeitet wurde dabei mit dem Männerbüro Karlsruhe e.V., einer Netzwerkorganisation, die sich unter anderem auch in der Jungenarbeit engagiert.
Tulpen pflanzen und den „Fliegenden Holländer“ treffen
In Stuttgart gab es einen Zusammenschluss der Jungen Oper Stuttgart (Junge Oper im Nord, kurz JOiN) mit der Wilhelma, dem bekannten zoologisch-botanischen Garten. Grundschulkinder haben sich in dem Projekt dieses ungewöhnlichen Bündnisses auf besondere Weise mit der Welt der Oper vertraut gemacht, indem sie auf dem Gelände der Oper gegärtnert haben. An zwölf Tagen haben die 50 Jungen und Mädchen 30 Hochbeete gebaut und bepflanzt – unterstützt von Theaterpädagoginnen und -pädagogen sowie gärtnerischen Fachkräften aus dem Stuttgarter Zoo. „Die Bepflanzung der Beete angelehnt an Opernstoffe war eine schöne Art, sich zuerst dem Operngebäude und dann der Musik zu nähern“, beschreibt Nora Friedrich. Während der Bepflanzung erhielten die Kinder eine altersgerechte Einführung in die Opern, die in der Spielzeit 18/19 in Stuttgart zu sehen waren. Abgerundet wurde der Workshop von Probenbesuchen, für viele der Teilnehmenden der erste Schritt ins Opernhaus. Ihre Erlebnisse und Eindrücke hielten die Kinder in einem Tagebuch fest. Dort notierten sie nicht nur ihre Lieblingsmomente, sondern auch gewissenhaft Pflegehinweise zu den von ihnen gesäten Zier- und Nutzpflanzen. „Alle Kinder übernahmen Patenschaften für mindestens eines der Beete und sind der Jungen Oper Stuttgart auf diese Weise nach wie vor verbunden“, schildert Nora Friedrich. Im Frühjahr des Jahres 2019 wurde die erste Ernte des Operngartens eingefahren. Die Kinder freuten sich neben Gurken und Zucchini über die Tulpen aus dem Beet „Fliegender Holländer“ und den Schmetterlingsflieder aus dem Beet „Madame Butterfly“.
„Zusammen AG – ein Theater-Start-Up“
Das „Theater der jungen Welt“ (TDJW) in Leipzig holte im vergangenen Jahr eine Unternehmensberatung mit ins Bündnis. Im gemeinsamen Projekt gründeten 45 Kinder und Jugendliche im Alter von neun bis 16 Jahren die „Zusammen AG“, ein eigenes Theater-Start-Up. Während einer Woche in den Winterferien eröffneten sie ein „Anti-Einsamkeitshaus“ im Theater. Als Ziel wurde definiert, dass sich niemand mehr alleine fühlen muss. In kleineren Gruppen wurde dafür ein Konzept erarbeitet, es gab Teams für die Geschäftsentwicklung und die Öffentlichkeitsarbeit. Parallel dazu erarbeiteten Teams Musik und kleine Theaterszenen, denn im „Anti-Einsamkeitshaus“ sollte ein fröhliches Miteinander geboten werden. Ein Filmteam dokumentierte den Verlauf des Projekts. Die Bündnispartner des TDJW waren das Kinder- und Jugendbüro des Kinderschutzbunds Leipzig e.V. und das „Social Impact Lab“, eine Gründungsinitiative, die Existenzgründerinnen und -gründer mit Qualifizierung, Beratung und Mentoring zur Seite steht. So kamen die Start-Up- und die Theaterwelt zusammen, frei nach dem von den Teilnehmenden ausgerufenen Motto „Wir coworken, wir cooperaten, wir connecten – Theater, Tanz und Performance gehören zu unserem (Show-) Business dazu!“
Die begleitenden pädagogischen Kräfte haben den Kindern und Jugendlichen größtmögliche Spielräume gelassen, eigene Akzente zu setzen. Dass es um das Thema Einsamkeit gehen sollte, haben die Teilnehmenden entschieden. Ebenso haben sie sich eigenständig über Budgetfragen geeinigt, auch die Entscheidungen über die Gestaltung der Plakate und T-Shirts, die für die Werbung eingesetzt wurden, sind in Eigenregie getroffen worden.
Digitaler Stammtisch für den informellen Austausch
Von zentraler Bedeutung für das Team um Nora Friedrich ist der Erfahrungsaustausch der lokalen Bündnisse und die gemeinsame Ideenentwicklung. Sie haben sich deshalb Gedanken darüber gemacht, wie der Austausch der Antragstellerinnen und Antragsteller untereinander Corona-konform ohne Präsenztreffen gelingen kann. So wurde ein digitaler Stammtisch initiiert, der auf positive Resonanz stößt, wie Nora Friedrich berichtet: „Die Theater bieten so viele unterschiedliche und kreative Projekte an. Bei den virtuellen Treffen stellen die theaterpädagogischen Kräfte sich gegenseitig ihre Arbeit vor oder holen sich untereinander Rat, wenn sie neue Wege ausprobieren wollen. Wir unterstützen mit Tipps und Ratschlägen zur Antragstellung oder Projektumsetzung.“
Fachtage für mehr Sprachsensibilität
Konkrete Tipps und Anregungen gibt der Deutsche Bühnenverein übrigens auch zum Thema Sprache, genauer gesagt, zum Thema diskriminierungsfreie Sprache. In diesem Jahr wurden bereits zwei Fachtage digital durchgeführt, gemeinsam organisiert mit der ASSITEJ e. V. Bundesrepublik Deutschland, einem weiteren Programmpartner von „Kultur macht stark“. „In unseren Fachtagen im Januar und im Juni haben wir uns mit dem Thema Klassismus beschäftigt. Damit sind die Diskriminierung und Unterdrückung von Menschen aufgrund ihres vermuteten oder wirklichen sozialen Status gemeint. „Kultur macht stark“ fördert Projekte mit Kindern und Jugendlichen, die von Klassismus betroffen sind. Diskriminierungskritische Sprache, sowohl im Zuge der Antragstellung als auch in der praktischen Arbeit mit den Teilnehmenden, schafft die Grundlage für ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander“, erklärt Nora Friedrich.