Musik baut Brücken
Klischees entlarven und Berührungsängste abbauen – ohne erhobenen Zeigefinger, mit einer berührenden Geschichte und mitreißender Musik. Das ist das Erfolgsrezept des inklusiven Musicals „Wonderful“ im Saarland, das im Jahr 2018 Premiere hatte.
Es ist schon einige Zeit her, dass das Musical „Wonderful“, ein durch „Kultur macht stark“ gefördertes Projekt, Erfolge feiern konnte. Wie nachhaltig das damalige Engagement wirkt und wie sich aus dem Projekt etwas Neues weiterentwickelt hat, berichtet Isabell Spindler: „Zwei junge Männer und ein Mädchen, die im Musical tragende Rollen übernommen hatten, spielen inzwischen eigenständig als Band-Formation ,Blind Audition‘.“ Dass die künstlerische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen für alle inspirierend sein kann, weiß sie selbst aus eigener Erfahrung, denn Isabell Spindler und ihre Kollegin Carina Peitz sind Wiederholungstäterinnen: „Wonderful“ war bereits ihr zweites für ein „Kultur macht stark“-Projekt komponiertes Musical, Nachfolger des überragenden Erfolges von „Louis Braille und die 6 Richtigen“ 2014 und 2015. In beiden Musicals standen Schülerinnen und Schüler auf der Bühne, die gar nicht oder nur stark eingeschränkt sehen oder hören können. Unter organisatorischer Federführung des Bundes für Zupf- und Volksmusik Saar (BZVS) schlossen sich für das Projekt „Wonderful“ die Louis-Braille-Schule Lebach, eine staatliche Förderschule für Blinde und Sehbehinderte, die benachbarte Ruth-Schaumann-Schule für Hörgeschädigte und das Neunkircher Gymnasium am Steinwald zusammen.
Über das Leben eines blinden Jungen
„,Wonderful‘ gewährte einen Einblick in das Leben eines blinden Jungen, wie normal und wie besonders es sein kann. Das Musical räumte mit Klischees auf und hinterfragte ,Political Correctness‘, um Berührungsängste zu beseitigen. Und das ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit einer berührenden Geschichte und mitreißender Musik“, fasst Isabell Spindler zusammen. Sie ist nicht nur Lehrerin an der Louis-Braille-Schule, sondern auch Mitglied im BZVS, wo sie als Dozentin für das Instrument Mandoline tätig ist. Gemeinsam mit Carina Peitz vom Neunkircher Gymnasium hat sie das Musical geschrieben, das vom Leben des blinden Musikers Stevie Wonder inspiriert ist.
63 Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 18 Jahren sind vor drei Jahren für die Aufführung in der Congresshalle Saarbrücken als Gruppe zusammengewachsen, darunter nicht nur hör- und seheingeschränkte Teilnehmende, sondern teilweise auch Kinder mit geistigen Behinderungen. „Ein großes Thema war definitiv der Abbau von Vorurteilen und Berührungsängsten“, schildert Isabell Spindler.“ Anfangs probten Kleingruppen allein, zur Vorbereitung auf den großen Auftritt stand dann ein gemeinsamer Ausflug mit Übernachtungen in der Landesakademie für musisch-kulturelle Bildung e. V. an. „Allein das war eine logistische Herausforderung, denn manche Kinder und Jugendliche benötigen Einzelfallhilfe. Wir hatten ein Riesenteam engagierter Kolleginnen und Kollegen aus allen Schulen dabei, fleißige ehrenamtliche Kräfte und natürlich unser Kern-Musicalteam“, so Isabell Spindler. Pädagoginnen und Pädagogen, Musikerinnen und Musiker, ein Bühnenarchitekt sowie Ton- und Lichttechnikkräfte zählten zum Kernteam, das die Kinder und Jugendlichen begleitet hat.
Musik als Brücke zwischen Lebenswelten
Als Verbindungsglied zwischen diesen Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen hat sich Isabell Spindler zufolge die Musik von Stevie Wonder gezeigt. „Wir haben nicht Stevie Wonders Melodien verwendet, sondern in seinem Stil, Motown genannt, eigene Songs komponiert. Die poppigen Melodien sorgen einfach für gute Laune, zudem vermittelt Musik auch augenzwinkernd Botschaften“, sagt sie. In den Liedern geht es darum, dass durch eine Behinderung eingeschränkte junge Menschen nicht ständig bemitleidet werden wollen. Sie wünschen sich Selbstständigkeit, Anerkennung und auch die Freiheit, sich auszuprobieren. „Fallen sie dabei auf die Nase, heißt es Autsch, aber dann geht es frohen Mutes weiter“, schildert Isabell Spindler. Sie erläutert auch, wie das überhaupt funktioniert, ein Musical für Gehörlose zu zeigen: „Wir haben mit unserer Kollegin Isabelle Ridder eine ausgezeichnete Gebärdendolmetscherin. Sie kann nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch die Musik spektakulär gut übersetzen. Sie imitiert die Instrumente unter ganzem Körpereinsatz, es ist wie ein mitreißender Tanz.“
Gemeinsam wachsen
Die Entstehung des Musicals ist 2018 vom saarländischen Rundfunk begleitet worden, erzählt Isabell Spindler: „Die Redakteurin hat den Prozess über viele Wochen beobachtet und meinte am Ende, alle Beteiligten seien größer geworden. Und damit war nicht in erster Linie die körperliche Entwicklung gemeint. Vor allem die Selbstständigkeit und das Selbstvertrauen der Teilnehmenden ist durch die Kommunikation mit allen Sinnen und die Freude über den Erfolg gewachsen.“ Durch das intensive Zusammenspiel während der Proben haben sich die Teilnehmenden gut kennengelernt und sind zu einer echten Gemeinschaft geworden. Am Ende des Projektes war es kein Thema mehr, wer von welcher Schule kam und wer welche Einschränkungen ausgleichen muss.
Die Band „Blind Audition“ tritt weiterhin auf, und wie geht es nach dem zweiten großen Musicalerfolg für die beiden Autorinnen weitert? „Aktuell ist ein drittes Musical nicht konkret geplant, allerdings gibt es schon viele gute Ideen“, verrät Isabell Spindler.