Die Zukunft gehört hybriden Formaten
Wie gestalten „Kultur macht stark“-Akteurinnen und Akteure den digitalen Wandel und wo sehen sie Chancen in Online-Formaten? Das hat eine Studie des JFF - Institut für Medienpädagogik im Auftrag des Bundesbildungsministeriums untersucht.
Phänomene des digitalen Wandels werden auch in der kulturellen Bildung aufgegriffen. Potenziale werden vor allem dort gesehen, wo Projekte mit digitalen Medien an die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen anknüpfen und es ermöglichen, sich zeit- und ortsunabhängig zu treffen. Der digitale Wandel macht es leichter, neue Inhalte und Werkzeuge sowie externe Expertise einzubinden, so das Fazit der Studie „Kultur macht stark – digital“. Zwei Autoren der JFF-Studie, Medienpädagoge und Kommunikationswissenschaftler Achim Lauber und Medienwissenschaftler Julian Erdmann, im Interview:
Herr Lauber, Herr Erdmann, während der Coronapandemie musste es plötzlich ganz schnell gehen. Treffen in Präsenz waren nicht möglich, in den „Kultur macht stark“-Projekten musste auf digitale Formate wie Videochat oder Messengerdienste umgestellt werden. Wie sind die Bündnispartner damit umgegangen?
Achim Lauber: Anfangs waren sie schockiert, dann aber zupackend, zuversichtlich und sehr kreativ. Die Haltung war davon geprägt, für die Kinder und Jugendlichen da zu sein, die gemeinsamen Projekte fortzuführen, den Kontakt nicht abreißen zu lassen.
Julian Erdmann: Es gab Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen. Nicht alle pädagogischen und künstlerischen Fachkräfte hatten von vornherein das technische Wissen, etwa um virtuelle Meetings einzurichten oder Apps einzusetzen. Auch spielt die technische Ausstattung eine Rolle, angefangen beim stabilen WLAN bis zur Frage: Welche mobilen Endgeräte sind bei den Teilnehmenden vorhanden? Und schließlich mussten die pädagogischen Konzepte an die neue Situation angepasst werden. In Anbetracht dieser Herausforderungen waren alle flexibel und haben sich schnell umorientiert.
Was waren rückblickend die größten Hemmnisse für Online-Angebote?
Achim Lauber: Primär würde ich sagen: die technische Ausstattung. Fachkräfte waren im Unklaren darüber, ob Kinder und Jugendliche Zugang zum Internet hatten, ob sie Smartphones, Tablets oder Computer handhaben konnten. Schwierig war es vor allem, während des Lockdowns jüngere Grundschulkinder online zu erreichen – das geht kaum ohne die Eltern. Besonders, wenn es um Familien in sozial benachteiligten Verhältnissen geht, wo Eltern oft weder die technischen noch die zeitlichen Ressourcen haben, um ihren Kindern Zugang zu Online-Angeboten zu ermöglichen.
Wäre es sinnvoll, in Zukunft bei der Planung eines Projektes schon im Vorfeld zu überlegen, wie Kinder und Jugendliche über Präsenztreffen hinaus online erreicht werden können?
Julian Erdmann: Das halten wir für eine gute Idee. Es gilt zu prüfen, was die Bündnispartner an technischem Equipment mitbringen und wie es mit der Medienkompetenz der Fachkräfte oder der begleitenden Ehrenamtlichen aussieht. In Zukunft sollte die technische Ebene stärker berücksichtigt werden: Wie man Kindern und Jugendlichen Technik zur Verfügung stellen kann oder auch, wie man die Eltern von jüngeren Teilnehmenden frühzeitig miteinbezieht.
Könnte man Teilnehmende auch schon vor Projektbeginn digital ansprechen?
Achim Lauber: Wie die Akquise der Teilnehmenden jenseits der bisherigen Wege gelingen kann, ist sicher eine Überlegung wert. Es gilt zu überlegen, wie man sie auch online auf „Kultur macht stark“-Angebote aufmerksam machen kann. Eine Erfahrung war: Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert auch in Messengergruppen.
Julian Erdmann: Während der Lockdown-Phase haben sich viele Beteiligte neues Wissen erarbeitet – durch eigene Recherche oder durch private Kontakte, etwa durch die eigenen Kinder. Nicht zuletzt konnten die Erwachsenen auch etwas von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern lernen, die teilweise sehr medienaffin waren.
Wie hat sich die Bündnisstruktur von „Kultur macht stark“ in den digitalen Projekten bewährt?
Achim Lauber: Die neue Situation hat dafür gesorgt, dass die Aufgaben der Bündnispartner teilweise neu verteilt werden mussten. Wer bislang etwa einen Raum für Präsenztreffen zur Verfügung gestellt hatte, konnte vielleicht nicht direkt umswitchen und virtuelle Räume erschließen. Das haben dann andere Partner übernommen. Die Bündnisstruktur ist außerordentlich hilfreich gewesen, damit alle handlungsfähig blieben. Auch die Programmpartner haben sich zumeist flexibel gezeigt. Sie leisteten organisatorisch, künstlerisch und auch pädagogisch Unterstützung für die Bündnisse vor Ort.
Haben Beteiligte an „Kultur macht stark“-Projekten den durch die Coronalage forcierten Schub an digitalen Angeboten als Chance begriffen?
Julian Erdmann: Wir haben die pädagogischen und künstlerischen Fachkräfte, die wir für die Studie zum Teil begleitet und interviewt haben, als kreative und offene Persönlichkeiten wahrgenommen, die sich gerne auf Neues einlassen. Sie konnten die Chancen ergreifen, die sich ihnen in einer insgesamt schwierigen Lage boten. Im ländlichen Raum, wo manchmal lange Wege die Teilnahme an kulturellen Bildungsangeboten erschweren, wurde es als positiv empfunden, sich virtuell zu begegnen. Außerdem wurde es leichter, überregional Expertinnen oder Experten hinzuziehen. Das zeigte ein Beispiel, als eine Drehbuchexpertin aus Hamburg sich in einem Projekt in Nordrhein-Westfalen engagierte. Dank digitaler Werkzeuge gelingt es auch gut, verschiedene Medieninhalte einzubinden. So können zum Beispiel Erklärvideos oder Filmausschnitte ohne großen technischen Aufwand in die Angebote integriert werden.
Achim Lauber: „Kultur macht stark“ hat ja den Anspruch, Kinder und Jugendliche dort abzuholen, wo sie stehen. Wenn diese Kinder und Jugendlichen sich viel im Internet aufhalten, erreicht man sie dort auch gut.
Wie nah kann man sich eigentlich kommen, wenn man Abstand halten muss? Wenn man sich nur online „trifft“, entstehen dann neue Formen des Miteinanders?
Achim Lauber: Viele Kinder und Jugendliche sind gewöhnt, ihre Freundschaftsbeziehungen auch im Netz zu führen. Für sie ist die Unterscheidung zwischen on- und offline nicht so wichtig wie für ältere Generationen. Gruppenprozesse lassen sich auch online anstoßen und Freundschaften entstehen auch online, wenn genug Zeit eingeplant und die richtigen Werkzeuge genutzt werden. Zumal viele virtuelle Räume rund um die Uhr zur Verfügung stehen.
Julian Erdmann: Neue Formen des Miteinanders entstehen, wenn Jugendliche sich als Figuren in virtuellen Räumen wie Minecraft begegnen. Sie interagieren, sie kooperieren, sie inspirieren sich gegenseitig.
Wo liegen die Grenzen digitaler Formate?
Julian Erdmann: Online-Formate können Präsenztreffen nicht vollständig ersetzen. Eine Theateraufführung hat eine besondere Atmosphäre, die ist einmalig und lässt sich kaum in gleicher Qualität virtuell erleben. Applaus am Bildschirm ist nicht dasselbe wie bei einer Live-Performance.
Achim Lauber: Es geht nicht um ein Entweder-Oder. Längst haben die Fachkräfte und Teilnehmenden den Wert von Mischformen entdeckt. Warum nicht phasenweise online trainieren, etwa für ein Tanzprojekt mit individueller Aufmerksamkeit durch den Tanz-Coach? Auch die Beschäftigung mit Onlinemusikdiensten wie „SoundCloud“ oder mit Apps zum Schneiden von Musikvideos oder Filmen klappt hervorragend im Netz.